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Fakten zur Aufführung 

VANESSA
(Samuel Barber)
20. März 2015
(Premiere am 7. März 2015)

Theater Hagen

Points of Honor                      

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Psycho-Drama mit Schauereffekten

Mit beeindruckender Beharrlichkeit widerlegt das Theater Hagen voreilige Thesen, den Sparzwängen unserer Bühnen durch den Verzicht auf ihr wichtigstes Kapital, ein leistungsfähiges Ensemble, finanzschonend entgegenwirken zu können, wie es die Wuppertaler Oper mit der Zerschlagung ihres Ensembles bisher wenig erfolgreich praktiziert. Auch wenn es dem Hagener Intendanten, Norbert Hilchenbach, eine Menge an Fantasie und Verhandlungsgeschick abverlangt: Jahr für Jahr stellt er ein Programm zusammen, das zum Abwechslungsreichsten und Innovativsten der Region gezählt werden darf. Ein Programm, das Raum für Wagnisse mit begrenztem Risikofaktor offenhält und das sich mit hauseigenen Kräften auch noch auf vorbildlichem künstlerischen Niveau umsetzen lässt.

Zu den Besonderheiten des Hagener Angebots gehören Stücke aus dem amerikanischen Musiktheater, die trotz mancher Versuche an den verschiedensten Bühnen des Landes ihren Außenseiterstatus nicht abschütteln können. Und zwar, je nach Perspektive, wegen oder trotz ihrer moderat modernen Tonsprache und ihrer konventionellen Dramaturgie. Dazu gehört auch Vanessa, die 1958 an der Met uraufgeführte und bis heute erfolgreichste Oper Samuel Barbers, aus dessen Oeuvre lediglich das berühmte Adagio aus dessen Erstem Streichquartett Eingang ins europäische Repertoire gefunden hat. Und das auch häufiger als Klangkulisse im Kino als im Konzertsaal.

Vanessa zum Libretto von Gian Carlo Menotti präsentiert sich in Hagen als durchaus spannendes Psycho-Drama im Fahrwasser der großen amerikanischen Dramatiker und vor allem Strindbergs. Die meist dunkle, mit Eiszapfen garnierte Kulisse von Jan Bammes legt früh die Zielrichtung der Produktion fest. Ein Lebensraum, der von Illusionen, Einsamkeit und bis zur Erstarrung unterdrückten Gefühlen bestimmt wird. Die Handlung: Vanessa wartet nahezu regungslos auf Anatol, ihren Geliebten, der sie vor 20 Jahren verlassen hat. Als eine Kutsche erscheint, glaubt sie in dem jungen Mann ihren Anatol zu erkennen, ohne zu bemerken, dass es sich um den Sohn ihres Geliebten handelt. Der interessiert sich freilich mehr für Vanessas Nichte Erika, die er gleich in der ersten Nacht schwängert. Erst als die nichts von ihm wissen will, wendet er sich Vanessa zu, heiratet sie und zieht mit ihr nach Paris. Erika bleibt allein zurück, als einsam Wartende, wie zuvor Vanessa.

Barber taucht die Musik in filmreife Klänge von schillernder Farbigkeit und emotionaler Intensität. Kein avantgardistischer, kein atonaler Anklang stört das Seelengemälde, das stilistisch den Kammeropern Benjamin Brittens nahesteht.

Roman Hovenbitzer, der schon etliche Raritäten in Hagen mit großem handwerklichen Geschick und kreativem Einfühlungsvermögen ans Tageslicht brachte, kann auch diesmal überzeugen, indem er die seelischen Zustände, Abgründe und Irritationen der Figuren minutiös aufspürt und auf überflüssige Mätzchen verzichtet. Bizarr die Hochzeitsszene von Anatol jr. und Vanessa, wenn die Festgesellschaft das Ritual durch Wolfsmasken beäugt und Erika im Brautkleid ihrer Tante erscheint. Das alles zeugt von tiefem Werkverständnis, Bühneninstinkt und Metierkenntnis.

So introvertiert die Handlung, so extrovertiert die Anforderungen, die Barber an die Sänger stellt. Ein paar scharfe Spitzentöne ausgenommen, bewältigt Katrina Sheppeard die dramatischen Impulse, aber auch die inneren Konflikte der Titelpartie grandios. Nicht minder intensiv stürzt sich Kristine Larissa Funkhauser in die Rolle der Erika. Und Richard Furman bleibt mit seinen heldentenoralen Qualitäten dem Anatol nichts schuldig. Ilka Vihavainen als Doktor überzeugt mit seiner großen, sonoren Baritonstimme. Die distanzierte Rolle der alten Baronin, Vanessas Mutter, verkörpert Marylin Bennett mit dem Charisma alternder Damen, wie wir sie aus den Dramen Tschechows und Puschkins kennen.

Das Ganze taucht Florian Ludwig am Pult des Philharmonischen Orchesters Hagen in eine Klangkulisse von beachtlicher Brillanz. Die kleine Chorrolle wird aufgewertet durch sinnvolle Einschübe aus Barbers Chorwerk The Lovers auf Texte von Pablo Neruda.

Vanessa ist eine weitere wertvolle Bereicherung des Repertoires, mit der das Theater Hagen seinen geachteten Ruf im Umfeld größerer Häuser behaupten kann. Und das Publikum goutiert die Bemühungen mit begeistertem Beifall.

Pedro Obiera

 







Fotos: Klaus Lefebvre