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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
7. Mai 2015
(Premiere am 18. April 2015)

Theater Hagen

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Wenn die alte Leonore zurückblickt

Es ist ein Kreuz mit dem Fidelio. Für Beethovens Vision einer befreiten Menschheit stand ihm kein adäquater Librettist zur Verfügung. Über Wagners schriftstellerisches Talent verfügte er nicht, und er mochte noch so oft und intensiv an dem Textbuch von Ferdinand Sonnleithner und der dramaturgischen Anlage der Oper basteln: Das Hohelied der Gattenliebe blieb mindestens zwei Dimensionen zu eng für Beethovens Utopie. Im Theater Hagen versucht man, die störenden Reste biedermeierlichen Geruchs durch die Textfassung von Jenny Erpenbeck auszumerzen, die vor acht Jahren im österreichischen Klosterneuburg mit mäßigem Erfolg aus der Taufe gehoben wurde. Das nach wie vor vorbildlich ambitionierte Theater deklariert seine Produktion etwas vollmundig als „Deutsche Erstaufführung“. Das sei ihm gegönnt. Aber im Grunde handelt es sich nur um eine zusätzliche Sprechrolle, in der die gealterte Leonore desillusioniert auf ihre „Heldentat“ zurückblickt. Eine Tat, die zwei Menschen glücklich machte, aber nicht zur Befreiung der Menschheit führte. Damit nimmt die Sprecherin die Position des späten, privat und politisch enttäuschten Komponisten ein. Der finale Jubelgesang erhält einen schalen Beigeschmack. Im Ansatz eine interessante Annäherung an das problematische Werk, die zugleich eine reflektierte Distanz schafft.

Die Schauspielerin Harriet Kracht trägt ihre Rolle allerdings mit so gramgebeugtem Pathos vor, dass das Stück in die Richtung einer etwas altmodisch wirkenden Tragödie driftet. Wenn schon die Perspektive des älteren Beethovens ins Auge gefasst wird, dann wäre ein differenzierterer Vortrag von warmer Empathie bis zu bösem Sarkasmus angebracht. Eine stilistische Bandbreite, wie sie sich etwa in Beethovens späten Streichquartetten niederschlägt.

Für zynische Akzente sorgt Regisseur Gregor Horres, indem bei ihm der böse Pizarro und der eher eitel-desinteressiert agierende Minister am Ende in trauter Gemeinsamkeit die Zukunft besingen. Während der Ausführungen der gealterten Leonore lässt Horres die Handlung in der Regel einfrieren, so dass die Szenen wie Filmschnitte wirken. Ansonsten erzählt er die Geschichte in den kühlen Gemäuern von Jan Bammes recht brav nach. Ohne besonders brillante oder ärgerliche Höhepunkte.

Man muss in Kauf nehmen, dass die „Nebenfiguren“ Jaquino und Marzelline und die damit verbundene skurrile Liebelei Marzellines mit Fidelio in dieser Fassung noch weiter an Bedeutung verlieren. Das verstärkt einerseits die politische Botschaft des Stücks, ist aber schade für so engagierte und begabte Kräfte wie Maria Klier als Marzelline und Keija Xiong als Jaquino, die mehr oder weniger vom Rand aus agieren müssen.

Umso stärker werden die Emotionen der – jüngeren – Leonore deutlich. Sabine Hogrefe bewältigt die kaum lösbaren vokalen Anforderungen der Rolle mehr als achtbar und erntet für ihre große Arie einen Begeisterungssturm. Natürlich kann auch sie nicht vergessen lassen, dass Beethoven für Singstimmen nicht über das Sensorium eines Mozarts verfügte. So ist auch Joachim Goltz gezwungen, die Rolle des Pizarros mehr zu brüllen als zu singen. Und ohne Blessuren vermag auch der prominente und in etlichen Momente stark auftrumpfende Gast-Tenor Scott MacAllister die Torturen der Florestan-Partie nicht zu überstehen. Das alles schmälert das insgesamt vorzügliche Niveau der Aufführung nicht. Zumal Rainer Zaun mit seiner Erfahrung und Bühnenpräsenz dem Rocco ein gewichtiges Profil verleiht.

Florian Ludwig dirigiert mit viel Drive, so dass die Euphorie des jungen Beethoven hörbar wird und einen noch seltsameren Kontrast zu den entmutigten Monologen der alten Leonore bildet. Untadelig singt der Chor.

Eine Produktion, die die Probleme des Stücks eigenwillig vor Augen führt. Ein riskantes, im Ansatz interessantes Unterfangen, das trotz mancher Haken und Ösen die innovative Energie des Theaters Hagen unterstreicht. Ein weiterer Beweis für das Geschick des Intendanten Norbert Hilchenbach, auch in schwierigen Zeiten seinem Theater ein individuelles Profil zu bewahren.

Das Publikum reagiert mit berechtigter Begeisterung auf die musikalischen Leistungen des Teams, applaudiert aber bisweilen an den falschen Stellen. So wird der ein oder andere beklemmende Effekt, wenn Horres die Zeit anzuhalten versucht, durchkreuzt.

Pedro Obiera







Fotos: Klaus Lefebvre