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Fakten zur Aufführung 

FAUST
(Charles Gounod)
6. Februar 2015
(Premiere am 17. Januar 2015)

Theater Hagen

Points of Honor                      

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Mit dem Krankenbett in die Fantastik

Charles Gounod, Jules Paul Barbier und Michel Florentin Carré ging es von Anfang an nicht um eine Vertonung des Goetheschen Faust, den Gounod als 22-Jähriger gelesen hatte. Vielmehr steht das dramatische Schicksal der Marguerite im Vordergrund und damit ein echter Opernstoff. Den hat Holger Potocki jetzt im Theater Hagen auf die Bühne gebracht. Fast vier Stunden hat er sich dafür Zeit genommen. Für viele Gäste ist das im ohnehin nicht voll besetzten Haus offenbar zu lang. Sie verabschieden sich in der Pause – und haben damit sicher die falsche Entscheidung getroffen. Denn Potocki dreht erst im zweiten Teil richtig auf und übertrumpft sich selbst. Aber der Reihe nach.

Ein Krankenhauszimmer – Einzelzimmer – eröffnet eine Reise, die es in sich hat. Im Bett ein alter Mann mit Sauerstoffbrille, der mit Infusionen und einer Bluttransfusion versorgt wird. Zittrig, kraftlos sind seine Bewegungsversuche. Die Schwester erscheint, um die Zufuhr der Flüssigkeiten und den Puls zu überprüfen. Bei der anschließenden Visite wird schnell klar, dass es nicht gut um den Mann steht. Der fröhlich hereinstürmende Krankenhausclown wird schnell zur Ordnung und stattdessen der Geistliche zur letzten Ölung gerufen. Der denkt aber gar nicht daran, den Greis zur letzten Reise zu schicken, entpuppt sich als Méphistophélés und schließt den berühmten Handel. Daraufhin tritt der junge Faust durch den Vorhang im Hintergrund, und das eigentliche Spiel kann beginnen. Ein irres Spiel. Potocki ordnet die Handlung bewusst im zeitlichen Nirgendwo an, so dass Lena Brexendorff nicht nur mit fantasievollen, streng charakterisierenden Kostümen auftrumpfen, sondern auch ein Bühnenbild bauen kann, das in jedem Akt wechselt und ständig mit überraschenden Einfällen aufwartet. Bewusst wählt sie dabei das Stilmittel des Überhangs. So bleiben beispielsweise vom Krankenzimmer ein Tisch mit einem Blumenstrauß, Weihwasserbehälter und Telefon an den Seitenwänden sowie ein freihängendes Bild auch in der Kirmesszene noch zurück. Immer wieder taucht das Krankenbett als „Leitmotiv“ auf – nicht immer ganz geglückt, aber das macht nichts. Auch diese Brüche scheinen gewollt. Lediglich im dritten Akt wirkt die Fantasie wie abgerissen. Die Handlung hinter einem überdimensionalen Bilderrahmen, der geschickt mit Lichtwechseln in Szene gesetzt wird, zieht sich wie Kaugummi, Stillstand statt Einfallsreichtum ist angesagt. Rückblickend ein letzter Retardierungsmoment, ehe der gewaltige Bildersturm einsetzt. Ergänzt werden die fantastischen Einfälle von Brexendorff durch intensive Videoprojektionen, überwiegend in Nahaufnahmen des alten Faust, von Volker Köster und einer wahren Lichterflut von Achim Köster, die schon beinahe an die Lichtgewalt in Musicals privater Veranstalter erinnert, sowie immer wieder überraschenden Perspektivwechseln, die eine neue, ungewohnte Sicht auf die Dinge erlauben. Nach der Pause entwickelt sich ein Stimmungsrausch, der selbst den hartgesottenen Opernbesucher nur noch staunen lässt. Dass Potocki dabei häufig die Personenführung vernachlässigt, so dass die Sängerdarsteller auf die typisch musiktheatralischen Posen an der Rampe zurückfallen, wirkt angesichts des Kaleidoskops an Ideen eher zweitrangig.

Funktionieren kann das, weil der Regisseur auf überwiegend gutes bis ordentliches Personal zurückgreifen kann. An erster Stelle ist hier ein Statist zu nennen, der zum ersten Mal auf der Bühne steht – oder besser: im Rollstuhl sitzt und liegt. Klaus Klinkmann darf seine Stimme nicht ein einziges Mal einsetzen. Aber den alten Faust mimt er so eindringlich nicht nur auf der Bühne, sondern auch in den Videoprojektionen, dass es einen schaudern macht. Außergewöhnlich gut präsentiert sich Rolf A. Scheider als Méphistophélés in verschiedenen Kostümvariationen. Mal im roten (Glitzer-)Anzug, mal mit Umhang, mal im Ornat, immer aber mit schwarzroten Schuhen zeigt der Bass-Bariton hier eine Paraderolle. Stimmlich fällt das wunderbare Französisch mit ausgezeichneter Verständlichkeit auf, das sich selbst gegen laute Orchesterpassagen ohne Schwierigkeiten durchsetzt. Die Modulation funktioniert hier über alle Lagen fabelhaft. Nicht ganz so spielerisch leicht setzt sich der ausgezeichnete Paul O’Neill mit der Rolle des Faust auseinander. Während er in den hohen Lagen zur Höchstform aufläuft, klingt es in den unteren Registern schon mal ein klein wenig belegt. Was seine Spielfreude nicht beeinträchtigt. Spielfreude muss auch Kenneth Mattice als Valentin beweisen. Insbesondere in der minutenlangen Sterbeszene beweist er sein ganzes Können. Wer von Marguerite eine ganz besondere Erscheinung erwartet, wird von Veronika Haller eines Besseren belehrt. In der Technik ohne größere Kritik, bleibt sie in der Ausstrahlung merkwürdig blass. Auch Kristine Larissa Funkhauser mag – zudem im einzigen unpassenden Kostüm, einem hellgrauen Anzug – nicht so recht in der Hosenrolle des Siebel überzeugen. Marilyn Bennett gefällt als Marthe ebenso wie Paul Jadach als Wagner.

Ein Pfund, mit dem das Theater Hagen auch in dieser Produktion nicht genügend wuchern kann, ist der Chor und Extrachor unter Leitung von Wolfgang Müller-Salow. [Hier wurde ein Satz gestrichen]

Steffen Müller-Gabriel treibt das Philharmonische Orchester des Theaters zu Höchstleistungen an. Da neigt die „schwelgerische Musik“ schon mal zum Drama, wirkt manche Feinheit nicht so ausgereizt, wie es möglich wäre; schlussendlich aber entsteht auch im Graben eine Oper, die mit dem Geschehen auf der Bühne wunderbar ausbalanciert erscheint. Dass das Dröhnen des Beamer-Gebläses ununterbrochen in die Musik strömt, ist womöglich veralteter Technik geschuldet, aber trotzdem störend.

Das Publikum ist vor allem von der packenden zweiten Hälfte zutiefst beeindruckt und erhebt sich gern zu stehenden Ovationen, um ein Opernereignis zu feiern, an dem es in Hagen in der letzten Zeit eher mangelte. „Wunderbar“, entfährt es einer Besucherin nach dem Moment der Stille, nachdem der letzte Akkord verklungen ist. Und sie hat Recht.

Michael S. Zerban

Am 10. Februar schreibt Norbert Hilchenbach, Intendant des Theaters Hagen, an die Redaktion: „In Ihrer Kritik zu der von Ihnen besuchten FAUST-Vorstellung im theaterhagen schreiben Sie: 'Zwar hört man hinter vorgehaltener Hand von fehlender sozialer Kompetenz des Chorleiters...'. Aus Sicht der Theaterleitung entbehrt diese Behauptung  jeglicher objektiven Grundlage und schädigt den Ruf unseres Theaters. Deshalb fordere ich Sie auf, die zitierte Äußerung innerhalb der nächsten 24 Stunden aus dem Netz zu nehmen.“

Der Intendant bezieht sich dabei auf den Satz im drittletzten Absatz „Zwar hört man hinter vorgehaltener Hand von fehlender sozialer Kompetenz des Chorleiters, aber die Leistungen des Chors, was Einsatzfreude, Präzision und Choreografie angeht, müssen ihresgleichen suchen.“ Wir streichen den Satz aus dem Bericht. Das bedeutet nicht, dass wir uns der Auffassung des Intendanten anschließen, aber eine Rufschädigung ist nicht beabsichtigt. Die Redaktion







Fotos: Klaus Lefebvre