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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
6. September 2014
(Premiere)

Theater Hagen

Points of Honor                      

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Versagen auf ganzer Linie

Wenn in diesen Tagen eine Entführung aus dem Serail auf dem Spielplan steht, dürfte ein Großteil des informierten Publikums zwingend erwarten, dass ein aktueller Bezug gefunden wird. Der drängt sich förmlich auf. Nicht so für den Regisseur Thomas Weber-Schallauer. Das ist legitim. Dann gibt es eben eine originelle Inszenierung, die das Stück für sich stehen lässt. Ausreichend moralische Aussagekraft im besten Sinne hat es allemal. Wenn dem Regisseur allerdings außer ein paar Plattheiten zu diesem Werk nichts einfällt, sollte er das Handwerk anderen überlassen und seinen Vertrag zurückgeben. Verdienstausfall hin oder her.

In Hagen kommt Mozarts Meisterwerk zur Spielzeiteröffnung zum ersten Mal seit 18 Jahren wieder auf die Bühne und wird mit dementsprechend großer Spannung erwartet. Wie in Hagen üblich, bleiben nur wenige Zuschauerplätze leer. Nach einer launigen Begrüßungsrede von Intendant Norbert Hilchenbach, der sein Publikum auf die neue Spielzeit einschwört, kann das Singspiel beginnen. Jan Bammes hat dazu das Haus Bassa Selims auf die Bühne gestellt, von dem zunächst nur die doppelten Außenwände in weiß und blau, von einer Messingkuppel gekrönt, zu sehen sind. Später werden die Wände zur Seite geschoben, und ein goldener Käfig auf bassinblauem Grund wird sichtbar. Das ist schon beinahe sensationell und an Originalität kaum zu überbieten: Das Haus Bassa Selims als goldener Käfig. Gut, ein paar Geheimnisse bleiben. Beispielsweise, warum der Boden in der Farbe eines Schwimmbeckens in einem öffentlichen Schwimmbad gewählt ist – finden wir hier möglicherweise eine Metapher zur Entführung durch Piraten? Warum sind auf diesem Boden vertrocknete Rosen verstreut? Zeichen der von Belmonte in Frage gestellten Liebe Konstanzes? Auf diesem Niveau bewegt die Regie sich weiter. Wer ein solch schönes Bühnenbild zur Verfügung gestellt bekommt, braucht sich über das Spiel im Wort Singspiel eigentlich keine Gedanken mehr zu machen. Und wirklich erinnert die Handlung, die eigentlich so viel Potenzial bietet, bei Weber-Schallauer eher an Stellproben. Was der vom Schauspiel kommende Regisseur hier anbietet, ist bestenfalls Dorftheater. Hier wird nicht gesprochen, sondern deklamiert. Ist ein Satz erst mal gefallen, gibt es eine Pause, um ihn wirken zu lassen. Leider werden mehr als drei Sätze gesprochen. Da zieht sich das Geschehen wie ein altes Kaugummi auf dem Bordsteinpflaster im Hochsommer. Dazu passend die Kostüme von Christiane Luz. Was fehlt, um die Provinzposse perfekt zu machen, sind angemalte Schnauzbärte und der Fes für Selim. Belmonte trägt einen weißen Anzug zu erdfarbenen Schuhen, die Mädels bekommen luftige Sommerkleidchen, Bassa Selim kommt im roten Maxi-Mantel daher, Pedrillo im schmuddeligen, sandfarbenen Anzug mit Hosenträgern und Unterhemd. Achim Köster hält sich mit der Lichtgestaltung im Hintergrund. Die Lichtwechsel wirken stellenweise, als bekäme hier der Praktikant die Erlaubnis, die Regler für die nächste Einstellung zu ziehen.

In diesem Umfeld fällt es Schauspieler und Sängern schwer, sich zu profilieren. Werner Hahn als Bassa Selim weiß offenbar gar nicht so recht, was er auf der Bühne eigentlich soll. Seine Sätze deklamiert er, was er vermutlich in den letzten 30 Jahren nicht mehr gemacht hat. In den Pausen danach blickt er wie irre in den Raum. Sarah Längle singt technisch annähernd einwandfrei, Emotionen enthält sie dem Publikum vor. Aber: In dieser Aufmachung kann man sich eigentlich nicht wohlfühlen. Konstanze ist ursprünglich eine Frau, die so attraktiv ist, dass sie von zwei Männern gleichzeitig begehrt wird. Mit plattgedrückter Perücke, die in der Farbe eher an die ersten Versuche einer Frau erinnert, sich die Haare mit vinylschwarzer Farbe aus dem Drogeriemarkt zu färben, und einem nichtssagenden Sommerkleidchen muss Längle sich eher elend denn als Konstanze fühlen. Ähnlich Maria Klier als Blonde. Diese witzige, mit viel Verve angelegte Rolle verkommt bei ihr zur Singstunde. Belmonte, der strahlende Retter, gewiss, mit Selbstzweifeln behaftet, aber ein charmanter Kerl, der einem einfach sympathisch sein muss, wird bei Kejia Xiong zur Nullnummer. Der Gesang lässt jegliche Mozartsche Klarheit vermissen, Ausstrahlung überlässt Xiong anderen. Richard van Gemert zeigt als Pedrillo, woran es bei der Inszenierung hapert. Die Personenführung fällt aus, Ideen bleiben Fehlanzeige. Spätestens bei Vivat, Bacchus! Bacchus lebe! muss jeder Regisseur vor Ideen sprühen. In Hagen bleibt es dabei, dass van Gemert sauber singt. Selten ist wohl eine solch staubtrockene Aufführung dieses Opernhits gezeigt worden. Lichtblick an diesem Abend ist Martin Js. Ohu, der mit seiner Stimme zaubern kann. Der Bass zeigt zwar keinen originellen Osmin, stattdessen lässt ihn Weber-Schallauer zu Beginn erst mal eine Zigarette rauchen, aber seine Stimme, die vom hellen Bariton in den Bass rauscht, ohne auch nur einen Moment an Verständlichkeit oder Melodie zu verlieren, ist einfach atemberaubend. Dass Wolfgang Müller-Salow beim Chor die Verständlichkeit zugunsten der Lautstärke aufgibt, ist letztlich nur noch traurige Randnotiz.

Florian Ludwig leitet das Orchester. Immer brav entlang der Partitur, von seltenen Misstönen abgesehen. Die Kommunikation mit der Bühne bleibt aus. Da kann man bei Mozart nicht so wahnsinnig viel falsch machen. Das Orchester findet allmählich aus der Sommerpause zurück. Gedanklich sind da noch viele bei ihren Familienurlauben. Aber dafür klingt das Ergebnis erstaunlich gut.

Am erstaunlichsten ist an diesem Abend das Publikum. Man möchte von einem „Hagener Theaterreflex“ sprechen. Als sei Heidi Kabel für einen Abend im Ohnsorg-Theater wieder auferstanden, wird mit stehenden Ovationen applaudiert. Gruselig.

Michael S. Zerban







Fotos: Klaus Lefebvre