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Fakten zur Aufführung 

AVENUE Q
(Robert Lopez)
5. September 2015
(Premiere)

Theater Hagen

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Hagen lässt die Puppen tanzen

Unterhaltung im besten Sinne bietet das Theater Hagen zum Auftakt einer besonders ehrgeizigen und bunt gemischten Saison. Robert Lopez‘ 2003 uraufgeführter Broadway-Erfolg Avenue Q lebt von seiner quirligen Frechheit, mit der das Musical-Genre locker, drastisch, aber niemals platt aufs Korn genommen wird. Das Theater Hagen nimmt den Ball an und entfacht mit vorbildlicher Hingabe, Spielfreude und Präzision auf hohem musikalischem und szenischem Niveau ein Feuerwerk an spitzen Attacken auf „political“ und „ethical correctness“.

Zugute kommt der Produktion, dass man wieder mit Studenten und Absolventen der Osnabrücker Musikhochschule kooperiert, die zusätzlichen Schwung in das ohnehin jung besetzte Ensemble bringen. Vorweg: Alle singen und spielen erfreulich gut.

Avenue Q ist eine heruntergekommene Straße in einem benachteiligten Stadtviertel New Yorks, in die es auch den College-Absolventen Princeton verschlägt. Realistische berufliche Perspektiven hat er nicht, so wie die meisten Bewohner der Straße. Lauter schräge Vögel wie der sexbesessene Trekkie oder die zart besaitete Kate Monster, die von einer Schule für vernachlässigte Monster träumt. Dann gibt es noch die durchgeknallte Christmas Eve, putzbesessen, japanischer Herkunft und leicht rassistisch angehaucht, und die selbstbewusste Super-Blondine Lucy. Nicht zu vergessen zwei Typen, die sich nicht sicher sind, ob sie nun schwul sind oder nicht. Einen festen Job haben lediglich die Kindergärtnerin Semmelmöse und ABBA-Star Agnetha Fältskog, die als mondäne Hausmeisterin ein wenig Glamour in die tristen Fassaden bringt.

Eine abgedrehte Gesellschaft, die sich da tummelt, Weills Street Scene nicht unähnlich. Aber die Autoren, neben Komponist Robert Lopez noch Song-Writer Jeff Marx und Librettist Jeff Whitty, unterlassen jede sozialkritische Anspielung und begnügen sich damit, die Typen so zu nehmen, wie sie sind. Abgefahren und sehr unterhaltsam. Auch wenn es in den munteren Songs heißt: „Wir sind alle ein bisschen rassistisch“ oder „Zum Kotzen“. Correctness, welcher Art auch immer, ist nicht angesagt. Irgendein aufklärerischer Zeigefinger erst recht nicht.

Man spielt mit Klischees, mit Versatzstücken des Genres und stellt sie in Frage. Sentimentale Songs gibt es nicht. Wenn es rührselig zu werden droht, schlägt die Stimmung blitzschnell um. An Überraschungen fehlt es nicht.

Die Musik von Robert Lopez bietet flotte, gut gemachte Konfektionsware, die die sechsköpfige „Avenue-Q-Band“ unter Leitung von Steffen Müller-Gabriel versiert zum Klingen bringt. Da die Musiker hinter der Bühne postiert sind, haben die Sänger keine Mühe, sich durchzusetzen. Ulrike Reinhardt schuf eine pittoresk anmutende Straßenfassade wie aus einem Weihnachtsmärchen. Und auch Regisseur Sascha Wienhausen betont den Märchencharakter und verzichtet auf realistischen Ehrgeiz. Im Gegenteil: Er lässt im wahrsten Sinne die Puppen tanzen.

Es ist kein Geheimnis, dass der mittlerweile internationale Erfolg des Musicals nicht zuletzt der Mitarbeit Rick Lyons zu verdanken ist, einem Darsteller der Sesamstraße, der für das Stück Puppen im Stil der Kult-Serie entwickelte. 40 originale Broadway-Puppen geben auch der Hagener Produktion ihr besonderes Flair. Nahezu alle Figuren lassen ihre obszönen, frechen Sprüche durch die hinreißend schön gearbeiteten Puppen sprechen. Große Handpuppen, die allesamt der Sesam-Familie nachempfunden sind und von den Darstellern erstaunlich differenziert und ausdrucksstark geführt werden. Rührend Katie Monsters Double mit dem unschuldig-braven Augenaufschlag, überrumpelnd Trekkie, der auf Pornos so versessen ist wie seine Vorlage, das Krümelmonster, auf Kekse. Putzig die lebenslustigen „Bad Idea Bears“ und auch die Verwandten von Ernie und Bert lassen grüßen. Klar, dass die Puppen manche Bösartigkeit des Librettos abfedern. Und auch ein Geschlechtsakt auf offener Bühne dürfte mit Handpuppen in seiner originellen Komik keinen noch so prüden Asketen erzürnen.

Und das blutjunge Ensemble spielt seine Rollen mit ansteckender Lust aus: Marilyn Bennett, die erfahrenste Darstellerin, als Agnetha, Ensemblemitglied Maria Klier als resolute Japanerin Christmas Eve und nicht minder die vielen Nachwuchskräfte. Stellvertretend zu nennen sind Carolina Walker als einfühlsame, sehr differenziert agierende Kate Monster, Nicolai Schwab als traumtänzerischer Princeton, Tillmann Schnieders als durchsetzungsfähiger Möchtegern-Comedian Brian, Joyce Dietrich als zickiges Party-Girl Lucy oder auch Maciej Bittner als sexsüchtiger Trekkie.

Das Publikum steht vor Begeisterung fast auf den Stühlen. Ein Auftakt nach Maß, der viel Unterhaltung auf hohem künstlerischem Niveau ohne Anspruch auf besonderen Tiefgang bietet. Ein Tipp für die ganze Familie? Nicht ganz. Es heißt: „absolut nicht jugendfrei. Ab 14 Jahre“.

Pedro Obiera

 







Fotos: Klaus Lefebvre