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Fakten zur Aufführung 

WILHELM TELL
(Gioachino Rossini)
27. September 2014
(Premiere)

Opernhaus Graz


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Großes Musiktheater aus den Schweizer Alpen

Obwohl Gioacchino Rossini erst 37 Jahre alt war, sollte Wilhelm Tell seine letzte Oper werden, mit Schillers Schweizerdrama als Grundlage. Sein reifstes Bühnenwerk stellt einen Wendepunkt in seinem Schaffen dar. Die teils oberflächliche, teils flüchtige Arbeitsweise, die Manieren und stereotypen Kadenzen, die virtuosen Koloraturen und Rouladen sind verschwunden. Der kontrastreichen Vielfalt des dramatischen Geschehens entsprechend, erfuhr das Werk in musikalischer Hinsicht bei großzügiger Anlage eine formen- und farbenreiche Gestaltung, die hauptsächlich bei der lebendigen Individualisierung der Personen ihre Wirkung ausstrahlt. Italienisch ist die Melodik, französisch die Sprache, schweizerisch das Thema, die großartigen Naturschilderungen weisen auf deutsche Herkunft hin, auch Schillers mitreißende Rhetorik ist vorhanden: Einfach tief romantisch ist das Werk.

Dreckig grinsend, ein Champagnerglas in der Hand, einen Fuß auf der Balustrade steht der sadistische Landvogt Gessler großkotzig in der Proszeniumsloge und verlangt von Wilhelm Tell, seinem Sohn den Apfel vom Kopf zu schießen. Diesem, wie sein Sohn mit einem roten Hemd samt weißem Schweizer Kreuz bekleidet und zuvor den habsburgischen Machthaber provozierend, in dem sie seinen Hut nicht ehrfürchtig gegrüßt haben, gelingt der gefährliche Apfelschuss.

Packend hat Stephen Lawless am Grazer Opernhaus nicht nur diese Schlüsselszene inszeniert, sondern es gelingt ihm mit dieser Eröffnungspremiere von Rossinis letzter Oper Wilhelm Tell insgesamt großes Musiktheater. Immer wieder mit der Schweizer Alpenwelt als Hintergrund und einem sich öffnenden, wie eine Zitadelle wirkenden Halbrund, die Bühne stammt von Frank Philipp Schlößmann, das die Sicht auf eine Arena freigibt, zeigt der britische Regisseur einen starken, alpenländischen Bilderbogen. Trotz des verlockenden Sujets von Unterdrückung und Widerstand, greift er dabei nicht in die politische Aktualisierungskiste. Nahe an Schiller sieht man in trachtigen Kostümen, blauen Overalls oder grauen Uniformen, die Ingeborg Berneth kreiert hat, viele Details und Symbole. So wird etwa gleich bei der Ouvertüre die Schweizer Idylle durch die habsburgischen Soldaten gestört, und aus der, aus Blumen bestehenden Schweizer Fahne mit dem weißen Kreuz wird wütend die österreichische Fahne geformt, die Buchstaben Helvetia werden durch Habsburg ersetzt. Später wird die weiße Frauenfigur Helvetia gar geschändet und nackt verscharrt.

456 mal das G, 93 mal das As, 54 mal das B, 15 mal das H, 19 mal das C und zweimal gar das Cis: Kein Geringerer als James Joyce hat da ehrfürchtig und genau mitgezählt. Und genau diese extremen Anforderungen der Partie des Arnold an jeden Tenor sind der Hauptgrund, warum Rossinis Meisterwerk, dessen Ouvertüre allerdings ein sehr beliebtes Konzertstück geworden ist, so selten gespielt wird und lange als unsingbar galt. Am 16.9.1899 wurde die Grazer Oper mit dem Schillerschen Wilhelm Tell eröffnet. Aus diesem Anlass wird der Tell knapp hundert Jahre nach der letzten Aufführung hier wieder aufgeführt. Den richtigen Tenor gibt es dazu.

Denn Yosep Kang bewältigt trotz eines Bandscheibenvorfalls die Rolle des Arnold, Sohn des Melchtals, mit allen Spitzentönen mühelos, strahlend und großer Schönheit und reißt das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Aber auch das übrige Ensemble kann sich bei der französisch gesungenen Eröffnungspremiere hören lassen. Olesya Golovneva ist seine geliebte Habsburger Prinzessin Mathilde mit einem runden, koloraturensicheren Sopran. Der verhasste Landvogt Gessler, meist in der Proszeniumsloge thronend und hier auch von Tell erschossen, wird von Derrick Ballard kernig und profund gesungen. Tatjana Miyus ist ein entzückender und glasklarer Jemmy, Sohn von Tell, der immer wieder wie ein Aktivist provokant gegen die habsburgischen Machthaber auftritt. Seine Mutter Hedwig wird von Dshamilja Kaiser feinsinnig gesungen. David McShane singt den in der Inszenierung stark aufgewerteten Walter Fürst, der wie ein strippenziehender Agent rauchend herumschleicht und sich letztlich zum Finale in der Loge den Gessler-Hut als Machtsymbol aufsetzt. Als alten Melchtal hört man Konstantin Sfiris etwas orgelnd, als Rudolphe den verlässlichen Manuel von Senden, als Ruodi den etwas angestrengt wirkenden Talan Reinhard. Tell ist auch eine Choroper. Der Chor ist vom Extra-Chor und Mahler-Chor verstärkt, viel im Einsatz und singt stimmgewaltig, homogen und klangschön. Die Einstudierung besorgte Bernhard Schneider. Und der Titelheld? James Rutherford singt den Schweizer Volkshelden kraftvoll und weich, seine Stimme ist aber zu wenig fokussiert und extrem tremoloreich.

Unter der stets animierenden Leitung des Rossini-Spezialisten Antonino Fogliani werden vom Grazer Philharmonischen Orchester die Melodik mit ihren blühenden Anmut und ihrem sinnlichen Schmelz, die Stimmungsmalereien wie auch die grandiosen Steigerungen mit dem tollen Schlusschoral glänzend akzentuiert, transparent und ausgefeilt musiziert.

Zehnminütigen Riesenapplaus spendiert das restlos begeisterte Publikum, wobei der Tenor den größten Anteil davon abbekommt.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Werner Kmetitsch