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Fakten zur Aufführung 

DIE TOTE STADT
(Erich Wolfgang Korngold)
18. Januar 2015
(Premiere)

Oper Graz


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Massenmord im Stiegenhaus

Das Licht verändert sich mystisch, die Vorhänge beginnen wie von Geisterhand zu wehen und geben dann eine Verlängerung der riesigen Treppe bis zum Plafond frei, als Marietta zum ersten Mal, empfangen von mehreren Paul-Doubles mit Rosensträußen von oben herunter schreitet, ja beinahe zum staunenden Paul herunterzuschweben scheint: Ein ungemein starkes Bild aus Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt am Grazer Opernhaus.

Diese riesige Treppe in einem holzvertäfelten Raum ist das zentrale, Bühnenelement in der Ausstattung von Herbert Murauer. Hier wird geliebt, hier wird auch gemordet. Mit wehenden Vorhängen, suggestiven Lichtstimmungen und vielfachen Verdopplungen der Figuren von Paul und Marietta betreibt Johannes Erath konsequent das völlige Verschwimmen von Realität und Traum, auch berücksichtigend, dass Sigmund Freuds Thesen Einzug ins Libretto gefunden haben. Diese Aufhebung der Grenzen zur Vision hin trägt aber nicht unbedingt zur Erhellung der ohnehin schwer fassbaren Geschichte, deren Libretto der Komponist und sein Vater Julius Korngold nach dem Roman Bruges-la-Morte von Georges Rodenbach verfassten, bei. Verwirrend für das Publikum ist auch die Tatsache, dass Marietta und Brigitta ebenso wie Paul und Frank ständig gleich bekleidet sind. Bei der Ermordung Mariettas im Traum durch Paul kommt es auch zum Massenmord aller sieben Doubles.

Von den Prinzipien des Films und der Ästhetik des Hollywood-Kinos ließ sich der Regisseur Erath inspirieren, eine Anspielung darauf, dass Korngold später ein großer Filmkomponist in Hollywood werden sollte. Da sind bei der Schauspieltruppe Figuren und nachgestellte Situationen aus allen möglichen Filmen, wie etwa Dracula, Marilyn Monroe, Psycho erkennbar, was doch etwas überfrachtet wirkt. In größtmöglicher Sinnlichkeit lässt er insgesamt jedoch durch spiegelnde Projektionen der Stadt Brügge wie auch durch einen schrägen Deckenspiegel, einem Wasserbassin, einem riesigen Kreuz, auf dem ein blutverschmierter Christus sitzt und Nebelschwaden, aufregende Lichteffekte, eindringliche und suggestive Bilder entstehen, deren Bann man sich nur schwer entziehen kann.

So einen Tenor in einer so extrem anspruchsvollen Rolle kann sich jedes Haus nur wünschen: Denn Zoltán Nyári singt am Grazer Opernhaus den Paul mit scheinbar unerschöpflichen Kraftreserven und bis zum Finale mit einem enormen Durchhaltevermögen. Dazu verfügt der Sänger über ein wunderbar farbenreiches, schmelziges Timbre, bombensichere Höhen und hohe Textverständlichkeit. Und er kann auch tiefe Gefühle und seine Zerrissenheit darstellerisch exzessiv vermitteln. Ein Triumph, der zu Recht bejubelt wird. Und dabei sollte er als Zweitbesetzung erst im April ins Bühnengeschehen eingreifen, durch die krankheitsbedingte Absage von Johannes Chum geschieht das aber schon zur Premiere.

Gal James‘ Sopran als Marie und Marietta klingt strahlend in der Höhe mit vielen Nuancen in den Lyrismen und dramatischen Ausbrüchen. Ivan Orescanin als Frank und Fritz singt nicht nur den Schlager Mein Sehnen, mein Wähnen mit zu wenig Ausdruck und Raffinement. Stark aufgewertet ist die Rolle der omnipräsenten Haushälterin Brigitta, die Dshamilja Kaiser sehr nuancenreich und mit starker Bühnenpräsenz bekleidet. Auch die kleineren Rollen, der Chor und Kinderchor singen tadellos.

Unter einem sehr engagiert dirigierenden Dirk Kaftan lassen die Grazer Philharmoniker Korngolds geniale, bereits als 23-Jähriger komponierte Musik – überfüllt von Stilen und zwischen aggressiver Harmonik, spätromantischem Schwulst und Impressionismus pendelnd – schillern, glitzern und aufblühen. Sie sorgen für atmosphärische Dichte, ohne die Sänger zuzudecken und ohne in Schwülstigkeit abzugleiten wie auch zu einer aufwühlenden Dauererregung.

Uneingeschränkter großer Jubel und viele bravi sind vom begeisterten Publikum im vollen Haus zum Finale zu hören, die sich beim Erscheinen des Tenors beinahe zu einem Orkan steigern.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Werner Kmetitsch