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Fakten zur Aufführung 

FRANZ, EIN TRAUMSPIEL
(Wen-Cheh Lee)
HYSTÈRA
(Zesses Seglias)
DIE WEICHE MONDIN
(Yukiko Watanabe)
K. FRAMMENTI DELL'ATTESA
(Lorenzo Romano)
6. Mai 2014
(Premiere)

Oper Graz


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Wann hat man heute noch Gelegenheit, Uraufführungen von Opern zu erleben? Aufgrund des erforderlichen Aufwandes und mangels Aufträgen wegen der Einsparungen im Kulturbereich sind die ziemlich rar geworden. Umso erfreulicher, dass man jetzt die Möglichkeit hat, gleich vier neue, jeweils etwa 30 Minuten dauernde Kurzopern von vier verschiedenen Komponisten, drei Kompositionsstudenten und einem Absolventen der Grazer Kunstuniversität (KUG), mit unterschiedlichen Ansätzen an nur einem Abend zu erleben. Die Oper Graz hat das gemeinsam mit der KUG im Zuge einer langjährigen Kooperation ermöglicht.

Und dieses mehrjährige Projekt auf der Studiobühne der Grazer Oper hat sich zweifellos gelohnt. Trotz oder gerade wegen der unterschiedlichsten Zugänge, kann vorweg attestiert werden, dass alle jungen Tonschöpfer sehr innovative, polystilistische, teils experimentelle Ideen präsentieren, die zudem alle Atmosphäre erzeugen und kompositorisch-handwerklich eine erstaunlich hohe Reife aufweisen.

„Du warst in jeder Hinsicht übergroß. Von deinem Lehnstuhl regiertest du die Welt“: Wenn der schüchterne Sohn, nämlich Franz Kafka, der mit klarem Tenor exzellent von Martin Fournier gesungen wird, so seine Furcht gegenüber seinem übermächtigen Vater, der sehr dominant und autoritär von David McShane gegeben wird, beschreibt und dabei immer wieder ins Stottern gerät, wird neben nackter Angst auch die Verzweiflung und Unsicherheit am eigenen Schaffen formuliert. Dafür hat Regisseur Ernst M. Binder einen überdimensionalen Stuhl und Tisch bauen lassen, als klares Symbol, dass dem Sohn alles mehr als eine Nummer zu groß ist. Der Vater wird meist von dem, wie ein Schwarm wirkender, sauberst und auch mit Zischlauten singenden, sechsstimmigen Chor in historisierten Kostümen, die von Vibeke Anderson stammen, umschwärmt.

Zu diesen einzelnen Szenen des Traumspiels hat Wen-Cheh Lee – ein Student von Gerd Kühr, Kompositionslehrer am KUG und selbst bekannter Komponist – musikalische Bruchstücke, zwischen „neutraler Klangorientierung und emotionaler Klangrührung“ geschrieben, mit extremen Intervallreibungen, wobei alle Möglichkeiten der Instrumente bis zur extremen Schrillheit ausgenützt werden.

In Hystèra, das auf einem Gedicht von Sophie Reyer basiert, wird ein und dieselbe Frau sowohl von einer Sängerin – Shirin Asgari singt die extremen Intervalle, überwiegend Vokalismen bis in beinahe unsingbare Höhen mit Bravour – und einer Schauspielerin, die von Gina Mattiello ideal verkörpert wird, repräsentiert. Sie ist eine duale, gespaltene Person, die mit ihrem Sohn zu sprechen scheint. Man hört Vorwürfe, aber auch kleine Situationen des Glücks. Es ist eine Innenschau ihrer Seele ohne Lösungsansätze. Die Musik von Zesses Seglias ist kräftig und bohrt sich förmlich ins Hirn mit auf- und abschwellenden Klängen und jähen Ausbrüchen. Bei dieser eher statischen Präsentation genügt Binder eine herabgelassene Deckenlampe.

„Fast scheint es, als wollte der Mond selbst einmal auf die Welt kommen. Denn er ist aus der Bahn geraten“: Mit der Urangst des Menschen, der Himmel könnte ihm auf den Kopf fallen, beschäftigt sich Die weiche Mondin der Studentin Yukiko Watanabe, das Libretto stammt von Wolfgang Hofer nach Italo Calvino. Unterstützt wird die Szene durch Animationen von Daisuke Nagaoka, die ständig auf einem Monitor gezeichnet und weggelöscht werden, und die die Angst ins Gedächtnis zeichnen sollen.

Watanabe versucht damit eine Synthese einer modernen und der japanischen Musiksprache und will damit wieder in die eigene Originalität der japanischen Musikkultur zurückzukehren. Eine völlig entindividualisierte, geistlose, lebensfeindliche Zivilisation wird gezeigt und hörbar gemacht, eine Schilderung der Atmosphäre der zerbrechlichen, chaotischen Großstadt Tokio, wobei ihre Musik eher beschreibenden Charakter aufweist und den Stimmen den Vortritt lässt. Die völlig in Weiß gekleidete, auf einem riesigen Polster sich am Beginn und am Ende räkelnde und dann schlafwandelnde Avelyn Francis bewältigt dabei hohe, kaum singbare Spitzentöne glockenrein. Kommentiert wird das Geschehen von einem Vokalismen und Geräusche erzeugenden Frauenchor vom Balkon aus. Die Damen sehen dabei aus wie Laborantinnen eines Institutes.

Eine sehr freie Montage kafkaesker Versatzstücke, die unbekümmert von Giuliano Bracci nach Texten von Franz Kafka ins Italienische übersetzt und zu absurden Dialogen montiert wurden, hört man in K.Frammenti dell’attesa: Dabei findet keine lineare Geschichte statt. Es ist eher eine Folge von Situationen, die von einem ungeklärten Gefühl des Erwartens gekennzeichnet sind. Dem Zuschauer steht es frei, zwischen möglichen Sinn- und wahrscheinlichen Zusammenhängen herumzuschweifen und eine eigene Lesart der Handlung zu finden.

Die Sopranistin Tatjana Miyus und der Bariton Ivan Oreščanin singen ihre diffizilen Gesangspartien exzellent, die Schauspieler Gina Mattiello und János Mischuretz spielen sie vorzüglich.

Die Musik Lorenzo Romanos ist geprägt von „einem fernen, musikalischen Heimweh nach Florenz“, wo er die Oper 2009 fast zur Gänze komponiert hat und in der starke Emotionen wachgerufen werden. Sie folgt einem kreisförmigen Rhythmus, mit nachfolgenden mechanischen, obsessiven melodischen Linien und wirbelnden Crescendi. Zum Finale wird sie überraschend hochimpressionistisch.

Das bis zu 16 Instrumentalisten zählende Ensemble der KUG und des Klangforums Wien unter der souveränen Leitung des Komponisten und Dirigenten Beat Furrer, bei dem alle anderen Komponisten studiert haben und der erst kürzlich mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde, spielen den gesamten Abend hochkonzentriert und auf höchstem Niveau.

Die Inszenierung der unterschiedlichsten Opernansätze und -zugänge besorgt Ernst M. Binder zurückhaltend und psychologisch choreographiert. Er sieht die ständige Suche als verbindendes Glied aller Werke.

Der Jubel ist trotz der anstrengenden Kost, die keinerlei Berieselung zulässt, sondern teils sogar mit Nadelstichen vergleichbar ist, gewaltig.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Peter Manninger