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Fakten zur Aufführung 

TOM SAWYER & HUCKLEBERRY FINN
(Kurt Weill)
1. November 2014
(Uraufführung am 4. Oktober 2014)

Deutsches Theater Göttingen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Vor der Aufführung


Kurt Weill träumte von der großen amerikanischen Volksoper. Huckleberry Finn sollte es werden. Entstanden ist daraus die Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, die jetzt in Göttingen aufgeführt wird. Michael Frei, Moritz Schulze und Gabriel von Berlepsch erzählen über das Projekt. (6'43).


 

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Zielgruppengerecht

Das Deutsche Theater Göttingen unter seinem neuen Intendanten Erich Sidler wollte gern ein Stück Musiktheater haben, das bewusst die ganze Familie anspricht – und ausschließlich abends stattfindet, um auch die Jugendlichen für den Theatergang am Abend zu gewinnen. Dazu wurde eigens ein neues Werk geschaffen: Tom Sawyer and Huckleberry Finn. Na ja, ganz so neu ist es nicht. 1876 veröffentlichte Mark Twain Die Abenteuer des Tom Sawyer. Lausbubengeschichten, die es in sich hatten. Im Februar 1950 begann Kurt Weill gemeinsam mit Maxwell Anderson die Arbeiten an dem Musical Huckleberry Finn, die unvollendet blieben, weil Weill einen Monat später starb.

John von Düffel erhielt den Auftrag, aus dem Roman von Mark Twain und den fragmentarischen Kompositionen Kurt Weills ein Bühnenstück zu schaffen. Von Düffel, durch die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn in seiner Kindheit sozialisiert, nahm sich dieser Aufgabe gern an.

Anfang Oktober dieses Jahres kam das Werk in Göttingen zur Uraufführung. Michael Frei übernahm die musikalische Leitung und die gemeinsame Orchestrierung mit Frank Hollmann. Lilja Rupprecht ist für die Regie zuständig. Ihre Aufgabe, aus dem Stück ein „familientaugliches“ Werk entstehen zu lassen, gelingt. Anne Ehrlich entwirft dazu eine Bühne, die im Wesentlichen aus zwei Teilen besteht. Die Rückwand der Bühne bildet eine heruntergekommene Wand, an der Tapetenfetzen hängen. Ein doppelflügeliges Fenster mit Oberlichtern ist verschmutzt. Der Rippen-Heizungskörper unter dem Fenster vervollständigt die Authentizität. Unmittelbar vor der Heizung ein karger Holztisch mit Schublade und zwei Stühle. Rechts und links davon jeweils vier Musiker, davor ein paar Kartons, aus denen sich später auch geschwind eine Schulklasse herstellen lässt. Wird der Vorhang im Vordergrund heruntergelassen, entsteht eine Hinterhof-Atmosphäre, später gar ein Gerichtshof in solidem Hellgrau. In die Wand integriert ein Fenster, Kaugummireste kleben auf der Wand. Zwischenzeitlich und gegen Ende wird die Wand für Projektionen genutzt. Die Kostüme von Christina Schmitt erinnern an die Südstaaten-Spießbürger des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Was ganz hübsch anzuschauen ist, verschenkt die Möglichkeit zu erklären, warum Tom sich so sehr in Becky verliebt, dass er dafür Amy stehen lässt.

Rupprecht umspannt die eigentliche Handlung mit einem Rahmen, indem sie zunächst den erwachsenen Tom Sawyer auftreten lässt. Das erschließt sich dem Zuschauer, der das Stück nicht kennt, eigentlich erst gegen Ende. Erzählt wird die Geschichte der Freundschaft zwischen dem in halbwegs geordneten Verhältnissen heranwachsenden Sawyer und dem „Underdog“ Huckleberry Finn, der Liebe von Sawyer und Becky, einem von Sawyer beobachteten Mord, seiner Auflösung und dem verfrühten Tod einer großen Liebe. Eine Geschichte über Freundschaft, Aufrichtigkeit und Moral. Zwei lange Stunden ohne Pause. Warum eine Pause nicht möglich ist, erschließt sich dem Zuschauer auf den engen Sitzen im ansonsten kuscheligen Theater nicht. Die Handlung jedenfalls ist nicht so dicht geflochten, dass sie keine Unterbrechung duldete. So stellt sich im Publikum eine gewisse Erleichterung ein, wenn klar wird, dass die Geschichte aus der Rückschau des erwachsenen Tom erzählt wird, dessen Frau Becky zu früh gestorben ist, und damit das Ende erreicht ist.

Florian Eppinger gestaltet den trauernden, elegischen Sawyer souverän und überzeugend, obwohl er über weite Strecken nichts anderes zu tun hat als herumzusitzen, zu stehen oder zu liegen. Sein jugendliches Pendant wird von Moritz Schulze in jeder Situation stimmig dargestellt. Vom Typ her ohnehin ideal besetzt, begeistert er mit authentischem Spiel und einer schönen Gesangsstimme. Ihm zur Seite steht einerseits Gabriel von Berlepsch als zunächst schmuddeliger und flapsiger Huckleberry Finn, der ein wenig mit der Einschätzung der eigenen Lautstärke hadert, wenn er ohne Notwendigkeit schon mal mehr schreit als singt, aber sonst einen glaubhaften Underdog präsentiert. Auf der anderen Seite sekundiert Felicitas Madl als Becky mit ungewöhnlicher, aber durchaus interessanter Mimik. Die Rolle der Amy Lawrence, Gegenspielerin von Becky, wird von Yanthe Glienke gut interpretiert, obwohl das Buch hier deutliche Schwächen in der Ausgestaltung der Rolle aufweist. Unter den übrigen, ohne Ausfälle überzeugenden Schauspielern besonders erwähnenswert ist Ronny Thalmeyer, der Muff Potter grandios spielt.

Gesanglich ist die Leistung des Ensembles auch in den choristischen Einlagen, von kleineren Schwächen abgesehen, absolut gefällig. Die Corn Cob Combo, acht Musiker unter der Leitung von Michael Frei, bekommt die Weillsche Musik wohltemperiert auf die Bühne.

Kurt Weill wollte mit seinem Werk die große, amerikanische Volksoper schaffen. Herausgekommen ist jetzt eine eher weichgespülte Musik, die an die großen Werke Weills nur in wenigen Glanzpunkten, aber sehr stark an Musicals erinnert. Buch und Gesangstexte des gebürtigen Göttingers John von Düffel sind ordentlich und brav gemacht. Rupprecht entwickelt daraus eine biedere Inszenierung, eben familientauglich, von acht bis achtzig. Der rechte Kick fehlt – sagt das Publikum und verabschiedet sich nach freundlichem Applaus.

Michael S. Zerban

Fotos: Laura Nickel