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Fakten zur Aufführung 

MIRANDOLINA
(Bohuslav Martinů)
4. Mai 2014
(Premiere am 30. März 2014)

Stadttheater Gießen


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Die Überfrachtung des Sanguinischen

Carlo Goldonis Bedeutung für das Theater erschließt sich insbesondere dem, der sich mit seinem großen Gegenspieler Carlo Gozzi befasst. Während der eine Venezianer, Goldoni, mit seinen Stücken, so vor allem Viel Lärm in Chiozza, die Commedia dell’arte zu überwinden suchte, warb der andere, Gozzi, mit seinen Stoffen für die Bewahrung der Tradition. Opernfreunden sind beide durch ihren Beitrag zur Geschichte des Musiktheaters im 20. Jahrhundert ein Begriff. Busoni und Puccini griffen Gozzis Turandot, Prinzessin von China auf. Ermanno Wolf-Ferrari vertonte allein vier Stoffe Goldonis, darunter Die vier Grobiane. Weniger bekannt dürfte den meisten die Verbindung zwischen dem Reformer des italienischen Volkstheaters und Bohuslav Martinů sein. Der tschechische Komponist entscheidet sich 1953, nach Rückkehr von einem zwölf Jahre währenden Aufenthalt in den USA, auf der Suche nach einem geeigneten Opera-buffa-Stoff für Goldonis Komödie Mirandolina, die erstmals 1751 in der Lagunen-Stadt gegeben wurde.

Zufall oder nicht: Das Stadttheater Gießen bringt den Dreiakter um die kokette Wirtin im Gasthof Locanda zu Florenz als deutsche Erstaufführung in italienischer Sprache fast zeitgleich mit der Einstudierung des Werks durch das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper heraus. Um es gleich zu sagen: Eine durchaus lohnende Entdeckung ist Martinůs mit Goldonis Personal von Verliebten, Verwirrten und Verschlagenen ohne Zweifel, eine womöglich rasante Verbreitung auf deutschen Bühnen eher unwahrscheinlich.

Dem ambitionierten Gießener Theater mit dem Respekt heischenden Konzept seiner Intendantin Cathérine Miville darf uneingeschränkt gratuliert werden. Nicht unbedingt dazu, wie es ein Ausnahmewerk der Nachkriegsjahre, aber dass es dieses auf die Bühne gebracht hat. Einen Solitär aus einer Zeit immerhin, in der ansonsten die Avantgarde die Musik der Zeit dominierte, Henze etwa, Egk oder Einem. Die große Überraschung der Begegnung mit dem Werk ist dabei die Partitur. Martinů hat gegen den Strich der Zeit eine sanguinische Musik geschrieben, die vielerlei Italianità mit allerlei folkloristischen Elementen seiner böhmischen Heimat, Anklängen an leichten Barock und schon schweren Jazz kombiniert. Michael Hofstetter hat es hör- und sichtbar Vergnügen bereitet, die modern-gestrige Komposition mit dem Philharmonischen Orchester Gießen einzustudieren. Die Musiker meistern die Anforderungen der Partitur, die Begleitung und Akzentuierung elanvoller Arien und Ensemblenummern, rein instrumentale Passagen, so ein längeres Orchestervorspiel zu Beginn des dritten Aktes, mit Kompetenz und Engagement. In diesem dritten Aufzug gibt es manche Affinität des Komponisten zu Rossini, ohne indessen seine Kunst zu erreichen oder erreichen zu wollen.

Das Sängerensemble überzeugt ausnahmslos. Vornehmlich begeistern Francesca Lombardi Mazzulli als Gast in der Rolle der Mirandolina und Ralf Simon als Fabrizio – das schlussendlich obsiegende Paar. Gießens Leonora in Verdis Oberto lässt mit ihrem in Höhe und Volumen trefflichen Sopran sowie dem koketten Spiel keine Wünsche offen. Wie mit dem Aufstieg des Fabrizio vom scheinbar tölpeligen Diener zum lachenden, weil liebenden und geliebten Dritten arbeitet sich sein Tenor mit den Ansprüchen der Partie in eine vorzügliche Tagesform. Als Cavaliere Ripafratti gewinnt Tomi Wendt das Publikum, auch das weibliche. Denn eigentlich ist dieser ein erklärter Frauenfeind. Eric Laporte als Conte Albafiorita und Calin Valentin Cozma als Marchese Forlimpopoli gestalten die Adelssippschaft mit köstlichem Humor und vokaler Geläufigkeit. Als verschlagene Komödiantinnen werden Hortensia, gespielt von Naroa Intxausti, und Dejanira, gegeben von Stine Marie Fischer, ins Rennen geschickt. Ihrem Sopran respektive Alt verlangen die Rollen nicht allzu viel ab. Gleichwohl komplettieren sie das Ensemble höchst achtbar.

Von der Italianità in Stoff und Komposition bleibt in der Inszenierung, die sich der in Berlin lebende ukrainische Regisseur Andriy Zholdak hat einfallen lassen, leider wenig übrig. Nach Eugen Onegin ist die Gießener Regie sein zweiter Anlauf, sich die Kunstform Oper anzueignen. Zholdak versteht eine Menge vom lebendigen Theater, nach langen Auseinandersetzungen mit Kinogrößen von Fellini bis Tarkowski noch mehr vom Film, aber zu wenig noch, offenkundig, von der Oper. Von Beginn an brechen, irritieren, verfremden Video-Projektionen auf dem Bühnenprospekt links und rechts vom Mittelpunkt des Raums die Wahrnehmung aus dem Zuschauerraum. Im flauen Grau-Weiß der Videobilder wird offenbar, wer von den Protagonisten in wenigen Sekunden seinen Auftritt respektive seinen Abgang haben wird. Ein Effekt, der nichts erhellt, einen Pseudobegriff von Aktion und Dramatik vermittelt und rasch verglüht. Eine ähnlich banale Aufladung der Szenerie begleitet das Kommen und Gehen eines Requisiteurs, als ob nicht die Zeit gereicht hätte, die Accessoires der Szenen zu organisieren.

Nicht minder fragwürdig bleibt die Zurschaustellung von Quasi-Märtyrern beiderlei Geschlechts, die sich scheinbar ungerührt an die Wald nageln lassen. Eine Opfergeste gegenüber der Jungfrau und Gottesmutter Maria? Diese ist nämlich anfänglich als Ikone auf der Bühnenrückwand präsent, im Finale alsdann in einer übergroßen, den Innenraum fokussierenden Projektion. Auf dieser so eingezogenen Metaebene korrespondiert sie mit einer anderen, sehr heutigen Mutter-Ikone, Angela Merkel. Die Ikone des heutigen Politikbetriebs wird mit niedergeschlagenem Blick,nach innen gewendet, wie nicht mehr von dieser Welt auf der rechten Seitenwand zitiert. Was die Assoziationen von Neurosen und Selbstkasteiungen, die vulgär-religiösen Überhöhungen mit dem komödiantischen Trüpplein der Hochstapler, Betrüger, Naiven und Intriganten in Mirandolinas Florentiner Locanda zu tun haben, bleibt das Geheimnis Zholdaks und seines Bühnenbildners Lukas Noll. Sie wirken unbestimmt und aufgezwungen, pseudo-pädagogisch.

Das Publikum nimmt derlei nicht wirklich übel. Es feiert die insgesamt vorzügliche Sängerleistung und seine Philharmoniker. Ende gut, alles gut, nach mancherlei Krampf auf dem Weg der Inszenierung zum happy end. Denn das zählt letztendlich, ganz sicher bei Goldoni und Martinů, nicht minder beim heutigen Opernpublikum, wenn es denn mal etwas zu lachen hat.

Ralf Siepmann

Fotos: Rolf K. Wegst