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Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
15. März 2015
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Männerdomäne und Frauenbilder

Rigoletto ist eine Männeroper, das ist bekannt. Die junge, naive Gilda gerät ins asoziale Getriebe zwischen dem leichtfertigen Herzog und ihrem übervorsichtigen Vater Rigoletto, die beide verflucht sind durch den Grafen Monterone, wird entführt durch die Höflinge des Herzogs und schließlich ermordet vom Auftragskiller Sparafucile. Michael Schulz, Musiktheater im Revier–Intendant, radikalisiert diesen Gedanken noch, in dem er die anderen vier kleineren Frauenrollen zusammenlegt. Die Gräfin Ceprano, die Amme Giovanna, der Page und die verführerische Maddalena verkörpern eine manipulative feminine Figur, die in dieser Männerdomäne das heimliche Sagen hat. In der kalten Umwelt einer nicht näher beschriebenen Skyline verzehren sich die triebgesteuerten Herren der Schöpfung nach ihr. Der Herzog kann sie zumindest für den Augenblick bekommen, weil er weiß, wie man Frauen begeistern kann: Mit schönen Worten. Rigoletto hingegen erschafft sich mit Gilda als krassen Gegensatz die Unschuld in Person – eingesperrt in einen Käfig unter dem Bühnenboden. Sein ganz persönlicher Ausgleich zur pervertierten Welt, an der er ganz akut mitarbeitet. Das weckt unangenehme Erinnerungen an aktuelle oder vergangene Kriminalfälle.

Es ist keine schöne Inszenierung, die sich Schulz, Bühnenbildnerin Kathrin-Susann Brose und Kostümbildnerin Renée Listerdal ausgedacht haben, aber sie ist passend zu einer spannenden Oper. Im ersten Akt wirkt sie noch ausgesprochen beliebig, mal davon abgesehen, dass Monterone nach seinem Fluch von der Dachterrasse geworfen wird. Aber je weiter die Handlung voran schreitet, desto ausgefeilter werden Charakterisierung und Personenführung. Besonders im Fall der Titelfigur ist hier eine starke Dramaturgie von Anna Grundmeier zu erkennen. Der selbst so brutale Rigoletto muss angesichts seiner entführten Tochter Schwäche zeigen. Die Höflinge bewerfen ihn mit ihrem Preisgeld, ein paar Scheine steckt sich der gedemütigte Vater schnell in die Tasche. Die eigentliche Niederlage ist für ihn aber der Umstand, seine Tochter in einem tief ausgeschnittenem Kleid nun selbst als Teil dieser lüsternen Welt zu sehen. Trost kann er seiner Tochter, die sich vor ihm im Vorhang verbirgt, obwohl sie sich gar nicht so unwohl fühlt, nicht spenden – im Gegenteil. Seine Wut richtet sich auch gegen sie. So wird Gildas Entschluss, sich für den Herzog zu opfern, plausibel gemacht.

Sieht man von ein paar verkopften, nicht immer verständlichen Symbolen ab, gelingt Schulz und seinem Team ein wirklich spannender Opernabend. Ein Höhepunkt darin ist sicher das gewaltige Gewitter, das dank der Lichteffekte von Patrick Fuchs durch den gesamten Zuschauerraum tobt. Bei einer einzigen, leuchtenden Tür auf der Bühne befürchtet man für die Schlussszene noch etwas Kitsch. Doch weit gefehlt: Tatsächlich verschwindet Gilda durch diese in der Dunkelheit dahinter. Als Rigoletto ihr folgen will, fällt die Tür mit lautem Knall um. So einfach, so grausam kann man Einsamkeit darstellen.

Auch Generalmusikdirektor Rasmus Baumann weiß, wie man mit Verdis Musik das Publikum erreichen kann. Er scheut keine Effekte, dringt aber mit der sehr sorgfältig aufspielenden Neuen Philharmonie Westfalen ebenso in die leisen Sphären dieser Oper vor. So erlebt man die Oper sehr emotionsgeladen. Von einigen Wackelkontakten abgesehen, ist die Abmischung mit den Stimmen sehr sorgfältig, da Baumann das Forte des Orchesters immer knapp unter dem der Sänger hält. Die sind es auch, die das Verdi-Glück vollständig machen, angefangen bei dem in Höchstform auflaufenden Männerchor, einstudiert von Christian Jeub: Bis auf den desaströs schreienden Tomas Möwes als Monterone sind alle Stimmen mindestens gut besetzt. Aus den kleinen Rollen der Höflinge ragt Philipp Werner als prägnanter Borsa heraus. Bei ihm passt Stimme und das Timing der kleinen Partie perfekt. Dong Wong Seo ist ein würdiger, aber auch nicht gerade packender Sparafucile. Almuth Herbst durchschreitet alle Akte als oben beschriebene Frauenfigur markant mit ihrem geschätzten Alt.

Brillant die drei Hauptpersonen: Darstellerisch fehlt es Hongjae Lim noch ein wenig an windiger Persönlichkeit. Stimmlich bleibt da kein Wunsch offen, seine großen „Hits“ liefert er glanzvoll und technisch sehr sicher ab. Ein echter Tenor! Alfia Kamalova wird ihrem guten Ruf, den sie sich in Gelsenkirchen als lyrischer Sopran erarbeitet hat, wieder vollauf gerecht. Ihr Sopran macht die Gilda zur Lichtgestalt in der düsteren Szene. Gleichzeitig setzt sie den passenden Gegensatz zum dunkel timbrierten Aris Agiris, der für sein packendes Rollendebüt als Rigoletto an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt. Bis auf eine kleine Ermüdung zum Ende des zweiten Aktes besticht er durch eine kraftvolle Interpretation. Passend zur Szene ist sein Bariton ab dem Mezzoforte eine Spur besser geführt als im Mezzavoce, doch auch in den leisen Momenten weiß er mit viel Gefühl zu fesseln.

Am Ende feiern ihn die Zuschauer mit Ovationen – und nicht nur ihn, sondern auch das gesamte Ensemble, einschließlich Dirigent und Orchester. Auch das Regieteam wird mit einbezogen, Ablehnung ist kaum zu hören. Dieses konzentrierte und klatschfreudige Publikum ist der Traum eines jeden Premierenteams.

Christoph Broermann





Fotos: Pedro Malinowski