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Fakten zur Aufführung 

GISELLE
(David Dawson)
12. Oktober 2014
(Premiere)

Ballett des Musiktheaters im Revier
und des Aalto-Theaters Essen


Points of Honor                      

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Dreieckstragödie in schwarzweiß

Der Auftakt ist gelungen. Auch die Premiere im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier war ein voller Erfolg. Das ist bei einem schmuseweichen Klassiker wie Adolphe Adams Giselle zwar keine Überraschung. Erst recht nicht in der schon in Essen und Dresden begeistert aufgenommenen Choreografie von David Dawson. Aber direkte Kooperationen zweier traditionell unterschiedlich geprägter Tanzcompagnien wie die des Gelsenkirchener Musiktheaters und des Essener Aalto Theaters stellen besonders flexible Ansprüche an den Organisationsapparat eingespielter Institutionen.

Auf besonderes Interesse stößt ein halbes Jahr nach der Essener Premiere die Neubesetzung der beiden Hauptpartien. Bridget Breiner verströmt in der Titelpartie fast noch mehr Anmut als ihre kongeniale Essener Kollegin Anna Kamzhina und vermittelt die Zerbrechlichkeit der Figur in Perfektion. Ob der große, bisweilen etwas steif wirkende Raphael Coumes-Marquet es als Albrecht mit Artur Babajanyan aufnehmen kann, ist Geschmackssache. Eine ideale Harmonie zwischen ihm und der Ballerina will sich nicht durchweg einstellen. Ganz anders der äußerst sensibel zu Werke gehende Dirigent Valtteri Rauhalammi am Pult der, wie schon bei der Frau ohne Schatten, brillanten Neuen Philharmonie Westfalen.

Ansonsten wiederholen sich die Eindrücke der vorzüglichen Essener Vorstellungen. Mit der unaufdringlichen Gelassenheit, mit der David Dawson die Handlung auf eine klassische Dreiecksgeschichte reduziert, mit der Konsequenz, mit der er die Gefühlslandschaften Giselles und ihrer Verehrer in zart fließende Bewegungen formt und dabei klassische Tanzmuster mit den langen, weichen Linien seiner Ästhetik verknüpft, hat die Produktion bereits Kultstatus erreichen können.

„Ich brauche den Wald nicht und nicht die Klassenunterschiede“, bekennt der Forsythe-Mitstreiter Dawson. Daraus resultierende dramaturgische Ungereimtheiten kann er freilich nicht vermeiden. In der ursprünglichen Fassung des Librettisten Theophile Gautier tarnt sich Prinz Albrecht als Bauer, um sich dem einfachen Landmädchen Giselle nähern zu können. Den Schwindel deckt Giselles Verehrer, der Förster Hilarion, auf und setzt Albrecht damit unter Druck.

Dawson ignoriert diese Thematik, wodurch das Geheimnis Albrechts, das Hilarion zu entschleiern versucht, unklar bleibt. Dass er zu den Bewunderern der umschwärmten Bathilde gehört, entpuppt sich als eher dünnes Motiv. Gleichwohl: Der erste Akt im Umkreis eines Hochzeitsfestes präsentiert sich in hellen, frühlingshaften Pastellfarben, passend zu den überwiegend sensiblen, anmutigen Bewegungsarrangements, die die Kernhandlung, wie so oft in klassischen Balletten, auch bei Dawson zu überwuchern drohen. Dass Hilarion als positive, ehrliche Haut dargestellt wird, der Giselle aus vollem Herzen liebt, entschärft die Konfliktsituation zusätzlich. Den ganzen ersten Akt inszeniert Dawson als ein großes Liebesduett zwischen Giselle und Albrecht, unterbrochen von einigen pittoresken Tanzeinlagen der Dorfgemeinschaft und Annäherungsversuchen Hilarios, bis Giselle in das Messer des verzweifelten Albrecht läuft.

Mit dieser trotz des bösen Ausgangs hellen, freundlichen Aura kontrastiert die Welt des zweiten Akts auf der Bühne von Arne Walther. Giselle erscheint Albrecht in der Erinnerung wie eine Wili, also eine Braut, die vor der Hochzeit gestorben und verdammt ist, rastlos im Wald Männer zu todbringenden Tänzen zu verführen. Diesen Topos aus der romantischen Grusel-Schatulle choreografiert Dawson als schemenhaften Reigen seliger Geister. Die Farben reduzieren sich auf den Gegensatz eines schwarzen Hintergrunds mit den weißen Kostümen der Wilis. Bis auf Giselle schweben alle verschleiert durch den zweiten Akt, gipfelnd in sehenswerten Solo-Einlagen. Giselle begegnet Albrecht quasi nackt in knapper, weißer Trikotage, und in der Illusion Albrechts findet seine Liebe die Erfüllung, die ihm in der Realität versagt geblieben ist. Am Ende platzt der Traum und Albrecht bleibt allein zurück.

Begeisterter Beifall für eine schöne Produktion, wie sie ähnlich bereits vor einem halben Jahr in Essen zu erleben war.

Pedro Obiera

 

Fotos: Bettina Stöß