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Fakten zur Aufführung 

DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN
(Emmerich Kálmán)
19. Dezember 2014
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


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Serbien muss sterbien

Die Sängerin Sylva Varescu steht kurz vor ihrer Amerika-Tournee. Edwin Lippert-Weylersheim, der in Sylva verliebt ist, will sie davon abhalten. Er verlobt sich mit ihr. Doch Edwins Eltern halten ihren Sohn mit einem Einberufungsbefehl auf. Zudem ist er bereits mit seiner Cousine Anastasia verlobt. Von dieser Verlobung erfährt Sylva durch den gemeinsamen Freund Graf Bonifaz. Enttäuscht tritt Sylva ihre Amerika-Tournee an. Ein paar Wochen später kehrt Sylva, die in Übersee als Csárdásfürstin gefeiert worden ist, nach Wien zurück. In Begleitung Graf Bonifaz’ und als dessen angebliche Frau trifft sie Edwin, seine Eltern und Anastasia, die sich in Bonifaz verliebt. Bis sich die richtigen Paare finden, dauert es eine Weile.

Regisseur Dietrich W. Hilsdorf lässt Emmerich Kálmáns Operette zwar in ihrem ganzen Glanz und Witz erstrahlen, wirft aber gleichzeitig einen realistischen Blick auf den historischen Kontext, vor dessen Hintergrund das Stück spielt. Den ersten Akt verlegt Hilsdorf in den Orientexpress, den zweiten in die Lobby eines Grand Hotels in der Nähe des Bahnhofs. Das von Dieter Richter geschaffene Bühnenbild unterstreicht den Regieansatz: Orientexpress und Grand Hotel stehen für den Glanz und den Reichtum der dem Untergang geweihten k.u.k.-Monarchie am Vorabend des ersten Weltkrieges. Die schachbrettartig angeordneten Marmorfliesen und mehr noch die hoch aufragenden klassizistischen Säulen des Hotels wirken bedrohlich und verkörpern die gesellschaftlichen Zwänge, unter denen die handelnden Personen des Stücks leiden. Mehr noch: Orientexpress und Bahnhofshotel in den ersten beiden Akten verweisen auf den dritten Akt, den Hilsdorf auf einen Bahnsteig verlegt. Dort steht ein mit Soldaten besetzter Zug, der mit aufgepinselten Sprüchen verziert ist: „Jeder Schuß ein Ruß!“ „Serbien muß sterbien!“ Kein Zweifel: Über der Liebeskomödie, an deren Ende die richtigen Paare zusammenfinden, liegt ein Schatten – die totale Mobilmachung.

Hilsdorf gelingt es mühelos, zwischen operettenhafter Unterhaltung und dramatischem Tiefgang zu changieren. Dazu passt auch, dass er das vermeintliche Happy End durchbricht. Zwar kommen Edwin und Sylvia zusammen, doch sie verliert ihren Geliebten augenblicklich an den Krieg. In den von Renate Schmitzer geschaffenen Kostümen flackert ein wenig Hoffnung auf bessere Zeiten auf: neben schönen Abendkleidern, Anzügen und Uniformen finden sich auch Kleider, die die „Roarin‘ Twenties“ vorwegnehmen.

Mit makelloser Stimme und leidenschaftlicher Darstellung gestaltet Petra Schmidt die Titelpartie. Ihr gehören ebenso die dramatischen Momente wie Peter Schöne in der Rolle des Edwin, den er ebenfalls mit Leidenschaft, aber auch voller Selbstzweifel, darstellt. Das spiegelt sich auch in der Stimmführung wieder, die zwischen Eleganz und energischer Zerrissenheit hin und her pendelt. Dem gegenüber stehen E. Mark Murphy und Dorin Rahardja, die das „leichtere“ Paar verkörpern: Murphy den Graf Bonifaz mit viel Witz und strahlendem Tenor, Rahardja die Comtesse Anastasia mit zauberhafter Jugendlichkeit und anmutiger Stimme. Joachim G. Maaß als Feri Báscsi, Wolfgang Jaroschka als Fürst Weylersheim und Christa Platzer als seine Frau runden die gute Ensembleleistung ab.

Unter der Leitung von Svetoslav Borisov entfaltet die Neue Philharmonie Westfalen einen schwungvollen Klang zwischen Walzerherrlichkeit und spannungsvoller Dramatik. Auch der von Christian Jeub einstudierte Chor trägt zum Gelingen der Operette bei. Ein Comeback an seiner alten Wirkungsstätte feiert der langjährige Gelsenkirchener Ballettdirektor Bernd Schindowski, der die Choreografie der Tänzer übernommen hat.

Das Publikum spendet der Premiere viel Applaus. Leider fällt der eine oder andere Premierengast unangenehm durch angeregte Unterhaltung während der laufenden Vorstellung auf – alles Herrschaften im für eine Operette zu erwartenden eher fortgeschrittenen Alter, von denen man eigentlich ein angemessenes Benehmen erwarten würde.

Sascha Ruczinski





Fotos: Thilo Beu