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Fakten zur Aufführung 

BELSAZAR
(Georg Friedrich Händel)
8. November 2014
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


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Musik

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Der Wille zur Macht

Und nun, als das Wasser im Euphrat so weit gefallen war, das es den Leuten nur noch etwas bis über die Knie ging, drangen die dazu angestellten Perser durch das Flussbett in die Stadt. Die Stadt aber ist so groß, dass, wie die Leute dort sagen, man mitten in der Stadt noch keine Ahnung davon hatte, dass der Feind schon in die äußersten Teile eingedrungen war, sondern tanzte und lustig lebte –da gerade Festtag war – bis die Schreckensnachricht dann auch dahin gelangte. So wurde Babylon zum ersten Mal erobert.“ Mit diesen Worten berichtet der griechische Geschichtsschreiber Herodot von der Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros II. im Jahr 539 vor Christus. Nach Herodot gelangten die Perser in die antike Metropole, indem sie den Euphrat umleiteten. Herodots Schrift bildet neben dem Alten Testament die Quelle für das Libretto von Charles Jennens zu Georg Friedrich Händels Belsazar, das 1745 in London uraufgeführt wurde.

Im Mittelpunkt von Händels Werk steht nicht unbedingt die Titelfigur. Die Perser unter Kyros stehen vor der Eroberung Babylons. Im Inneren der Stadt ergötzen sich die Babylonier und ihr König Belsazar am Glanz ihrer Macht. Sie ahnen nicht, dass der Untergang bevor steht. Belsazars Mutter Nitrocris will ihr Volk vor dem drohenden Unheil warnen. Doch die Babylonier treiben auf ihrem Fest grausame Späße mit den jüdischen Gefangenen, die einst Belsazars Großvater Nebudkadnezar ins Land geholt hatte. Als Belsazar deren Kultgegenstände entweiht, prophezeit der jüdische Anführer Daniel dem babylonischen König dessen Untergang. Kurz darauf erobern die Perser die Burg, Belsazar wird von Kyros getötet, der die Herrschaft übernimmt. Die jüdischen Gefangenen erhalten ihre Freiheit zurück.

In dem ursprünglich nicht als Oper, sondern als Oratorium konzipierten Belsazar spielt vor allem der Chor eine große Rolle. Regisseurin Sonja Trebes gelingt es dennoch, die einzelnen Figuren, die von den Solisten gesungen werden, herauszuschälen. Was sind das für Menschen? Welche Ziele verfolgen sie? Da ist der zu den Persern übergelaufene Gobryas, dessen Sohn einst von Belsazar getötet worden ist. Er weist den Persern den Weg nach Babylon aus Rache und trägt eine doppelte Trauer in sich: die um seinen ermordeten Sohn und die um seine zum Untergang geweihte Heimat. Da ist der Perserkönig Kyros, der seine Macht nicht nur durch Krieg, sondern auch durch gezielte Propaganda nach Innen und Außen absichert. Da ist Daniel, der Führer der Juden, der seine Leute aus der babylonischen Knechtschaft führen möchte und deshalb auf den Perserkönig als Verbündeten setzt. Da ist Nitrocris, die den Untergang ihres Sohnes voraussieht und im Hintergrund Allianzen mit Daniel und Kyros schmiedet, um ihre eigene Macht zu sichern, zum Schluss aber zur Krönung Kyros’ gezwungen wird. Am absurdesten wirkt Belsazar, ein dekadenter Herrscher, der den Blick für die Realität verloren hat und noch in der Stunde seines Untergangs nicht begriffen hat, wie das Geschehen um ihn herum sich gegen ihn gewendet hat. All das ist im biblischen Drama bereits angelegt und erinnert fatal an die Vorgänge zeitgenössischer Machtpolitik im nahen Osten, aber auch an die politischen Konflikte in anderen Weltregionen.

Das von Hyun Chu geschaffene Bühnenbild wird von einem hohen, schwarzen Gebilde dominiert, das die Mauern Babylons symbolisiert und sich regelmäßig im Uhrzeigersinn dreht. In den Schlüsselszenen öffnet es sich und gibt die Burg Belsazars preis. Eine durchaus gelungene, von schlichter Architektur geprägte Lösung, die an das Bühnenbild von Christof Nels Düsseldorfer Elektra von 2012 erinnert; auch hier war es ein sich im Uhrzeigersinn drehender Bau, der seinerzeit die Burg der Atriden darstellte. Die von Reneé Listerdal geschaffenen Kostüme verbinden historische und zeitgenössische Elemente, orientalische und westliche Elemente miteinander. So wirken die Figuren losgelöst von jedem konkreten Kontext; das Spiel um Krieg und Macht, von dem die instabile Region, in der Belsazar spielt, geprägt ist, bleibt auf diese Weise zeitlos – es kann auf die aktuelle Situation in Syrien und im Irak angewendet werden, muss es aber nicht zwingend. Die Ausnahme bildet lediglich die Ausstattung der Titelfigur; Belsazar wirkt mit seinen AK47-Sturmgewehren und die an einem Gürtel befestigten Dynamitstangen wie die groteske Karikatur eines IS-Dschihadisten. Das ist schade. Konkret an ihrem Äußeren zu identifizieren sind die Juden um Daniel. Sie tragen nicht nur dieselben schwarzen Anzüge mit Hut, sondern sind vor allem an ihren Peies, den geringelten Schläfenlocken, zu erkennen.

Einen gewichtigen Anteil zum Gelingen dieses Opernabends trägt der von Christian Jeub geleitete Chor, der nicht nur durch den Vortrag, mit der er die Schönheit der von ihm gesungenen Musik zum Leuchten bringt, zu loben ist, sondern auch, weil er einen regelrechten Kostümmarathon hinzulegen hat: vom persischen Heer über die babylonischen Soldaten bis hin zu den jüdischen Gefangenen. Dem Chor gegenüber steht das kammerspielartig agierende Ensemble. Gastsänger Attilio Glaser überzeugt als Belsazar mit heller, klarer Stimme. Lustvoll spielt der Tenor den dekadenten Herrscher mit Hang zu ausschweifenden Feiern und Überheblichkeit. Alfia Kamalova zeigt zum wiederholten Mal, dass sie zu den besten Sängerinnen im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zählt. Mit anmutiger, vibratofreier Stimme gestaltet sie die Partie der Nitrocris und überzeugt mit spannungsreicher Gestaltung auch im leisesten Pianissimo. Anke Sieloff spielt den Perserkönig Kyros mit aller Entschlossenheit, die ein Feldherr braucht. Die seit 21 Jahren zum Ensemble des MiR zählende Sängerin singt mit sauber intonierter Stimme und gestaltet auch die Rezitative spannungsreich. Schnörkellos in der Stimmführung und mit schön ausbalancierter Dynamik gestaltet Almuth Herbst die Rolle des Daniel. Der Sängerin, die oft in kleineren Partien zu sehen und zu hören ist, wünscht man gerne mal eine größere, abendfüllende Partie. Stark im Ausdruck, gerade weil er die Rolle in gedrückter Stimmung und mit großer Zurückhaltung ausfüllt, überzeugt auch Dong-Won Seo als Gobryas.

Unter der Leitung von Gastdirigent Christoph Sperings entfaltet sich die Musik Händels in ihrem barocken Glanz. Der Orchesterklang wird unprätentiös vorgetragen und verschwindet fast hinter dem Gesang von Chor und Ensemble, den er wie ein musikalisches Fundament trägt.

Das Publikum bedankt sich, wenn auch nicht mit ausgelassener Euphorie, für die insgesamt gelungene Premiere mit viel Applaus. Vor allem Kamalova wird für ihre Darbietung gefeiert. Mit Händels Belsazar hat das MiR zum ersten Mal seit Mai 2009 – damals war es Henry Purcells Dido and Aeneas in einer Inszenierung des ehemaligen Gelsenkirchener Ballettdirektors Bernd Schindowski – eine Barockoper auf die Bühne gebracht. Es ist zu hoffen, dass Gelsenkirchen nicht wieder fünfeinhalb Jahre warten muss.

Sascha Ruczinski





Fotos: Pedro Malinowski