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Fakten zur Aufführung 

I DUE FOSCARI
(Giuseppe Verdi)
23. Juni 2015
(Premiere am 19. Juni 2015)

Theater St. Gallen

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Oper zum Greifen nahe

Noch hängen dunkle Wolken über der reichen Handelsstadt St. Gallen, aber die Abendsonne kämpft sich mehr und mehr durch. Sanft plätschert der Brunnen im sauber aufgeräumten und makellos renovierten Klosterhof vor der barocken Sandsteinfassade der Kathedrale. Der St. Gallener Stiftsbezirk gehört zu recht zum UNESCO-Weltkulturerbe und bietet die attraktive Umgebung der St. Gallener Festspiele, die dieses Jahr zum zehnten Mal hier stattfinden. Die Leitung will abseits des Mainstream Entdeckungen und Raritäten vorstellen.  Das Programm der erfolgreichen 14-tägigen Festspiele setzt sich aus einer Open-Air-Opernvorstellung, einer Tanzaufführung in der Kathedrale und verschiedenen Konzerten zusammen. 

Gut eingepackt in Daunenjacken oder zweckmäßiger „Outdoor“-Kleidung, ausgerüstet mit Decken und Sitzpolstern, schreiten stolz die Eidgenossen erwartungsvoll über den Hof zu der aufgebauten Tribüne, um an diesem Abend ins südliche und wärmere Venedig des Mittelalters entführt zu werden. I due Foscari von Giuseppe Verdi spielt in der mittelalterlichen Lagunenstadt und erzählt die tragische Familiengeschichte der einflussreichen Familie Foscari. Intrigen, repressive Gesetze, Machtspiele,  Machtgier und  Rache entwickeln einen Krimi um den langjährigen Dogen Francesco Foscari und  seinen Sohn Jacopo. Drei Söhne hat er bereits verloren, den letzten Überlebenden muss er in die ewige Verbannung schicken, um seine Macht zu erhalten. Am Ende werden die Lügen und Intrigen aufgedeckt, aber da ist es schon zu spät, um seinen unschuldigen Sohn zu retten, der vorher den Freitod seiner Verbannung vorgezogen hat. Dieses Frühwerk von Giuseppe Verdi lässt schon viel von seiner Meisterschaft spüren. Die Musik ist spannungsgeladen, musikalische Motive charakterisieren die Personen. Duette und Arien sind voller Emotionen und Dramatik. Ein Stoff, eine Musik und eine Handlung samt Ort, der für eindrucksvolle, großformatige Open-Air-Festivals geeignet ist.

So stürzt sich auch Carlos Wagner, der Regisseur dieser Inszenierung, mit seinem Team in eine üppige Gestaltung. Wir erleben ein düsteres Venedig, der Moder ist förmlich riechbar am Canale Grande. Ein großes, mit Wasser gefülltes Becken bildet die unmittelbare Brücke vom Zuschauer zum  Dogenpalast, der mit einer großen, eisernen Tür verriegelt ist. Gondeln verkehren auf dem Canale Grande, die venezianische Bevölkerung watet durch das Wasser, um das Geschehen vor und im Dogenpalast zu verfolgen. Sehr gelungen so die Bühnengestaltung durch Rifail Adjarpasic. Die Kostüme von Ariane Isabell Unfried wirken weniger einfallsreich, und sie kleidet die Statisten, den Chor und die handelnden Personen in einen wirren Mix von traditioneller Bekleidung – die venezianischen Bürger in Fischergummihosen und Stiefel – und die Edelleute in die vermeintlich schillernden Kleidern der gehobenen Gesellschaft. Aber ein paar Farbtupfer tun gut in der tristen Kulissenstadt. Öffnet sich das Tor des Dogenpalastes, gibt es einen Blick in das reiche und goldene Machtzentrum der Stadt.

Aber die Kühle bleibt innerlich und äußerlich. Passend dazu verhüllen Nebelschleier den Ort der Handlung. Die Winterkälte zieht fühlbar durch die Stadt, passend zur gefühlten Außentemperatur auf den Zuschauerrängen. Die große Bühne wird weidlich ausgenutzt, in den Gondeln wird anmutig gesungen.

Leonardo Capalbo als Jacopo Foscari leidet, phantasiert in einer schwimmenden Gefängniszelle und verschmilzt mit Yolanda Auyanet als seiner Gemahlin Lucrezia im Liebesduett. Seine Stimme gleitet sicher in allen Registern, im Klang fehlt aber Schmelz und Fülle. Ihr Sopran zeigt viel Dramatik und Kraft, in den langen gefühlsbetonten Melodiebögen vermisst man Weichheit und Dehnbarkeit der Stimme. Den Abend prägt Paolo Gavanelli, der seine Bühnenerfahrung spielerisch und gesanglich mit viel Feingefühl einsetzt. Seine Gestaltung des Endes von Francesco Foscari bleibt unvergesslich. Herzzerreißend leidet der Vater um den Verlust der Macht und seines Sohnes, in den Fluten watend nach Erlösung suchend, und am Ende wird der Schmerz wahrhaft ertränkt. Seine volle, sonore Baritonstimme schmiegt sich jeder Situation an und erfüllt trotz der eingesetzten Technik die Anforderungen der Opernfans.

Die Technik ist für die modernen Open-Air-Spektakel immer ausgefeilter und wichtiger, so auch hier. Das Orchester sitzt im Gebäude nebenan. Das vorsichtige, zurückhaltende Dirigat von Attilio Tomasello wird auf große Bildschirme für die Sänger übertragen. Der Orchesterklang sowie die Gesangsstimmen werden ausbalanciert. So entsteht ein teilweise einseitiges Klangerlebnis, das besonders bei den Chorszenen zu spüren ist. In Opernhäusern werden die Massenszenen meist zu monumentalen musikalischen Klanggebilden, hier wirkt das Volumen monoton gedeckelt und verliert an Spannung.

Aber diese baut Wagner in seiner Personenregie gekonnt auf und kommt mit den speziellen Rahmenbedingungen sehr gut zurecht. So ernten am Ende alle viel Beifall für dieses packende und gestalterisch intime Opernerlebnis. Tief beeindruckt und erfüllt, applaudiert das Publikum beherzt am Ende allen Beteiligten. St. Gallen setzt hier ein kräftiges künstlerisches Zeichen und  reiht sich in die Liste der hochwertigen Open- Air-Musikevents ein.

Helmut Pitsch



Fotos: Tanja Dorendorf