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Fakten zur Aufführung 

DER TUNNEL
(Thilo Wolf)
21. Oktober 2015
(Uraufführung am 16. Oktober 2015)

Stadttheater Fürth


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Bissig-böser Ansatz

Der Tunnel war 1913 der Roman des Jahres. Schon nach einem halben Jahr betrug die Auflage 100.000 Exemplare, das Werk des Fürthers Bernhard Kellermann wurde in 42 Sprachen übersetzt. Mit seinem sehr realitätsnahen Science-Fiction-Roman inklusive sozialkritischem Blick traf der fränkische Autor den Nerv der Zeit. Das Spannende: Der Roman hat an Brisanz bis heute kaum verloren, ob es nun um Spekulationsfieber und Börsencrash geht, um Technikwahn, der Menschenopfer fordert, oder um die Fähigkeit, Massen mit Charisma zu mobilisieren. Jetzt ist Der Tunnel am Stadttheater Fürth zu sehen – und zwar als Musical. Ein Werk, das nett anzusehen ist, dem es jedoch ein Stück weit an Tiefe fehlt. Vielleicht liegt hier die Krux: Mancher Musicalbesucher mag tatsächlich Leichtigkeit und berieselnde Unterhaltung erwarten – dem Anspruch wollten Komponist Thilo Wolf und Texter Ewald Arenz wohl entgegen kommen. Kellermanns Werk Der Tunnel böte indes mehr Substanz – das spürt auch, wer den Roman nicht gelesen hat.

Zunächst sei die wohl nicht jedermann bekannte Geschichte knapp erzählt: Ingenieur Mac Allan hat Pläne zu einem 5.000 Kilometer langen Tunnel durch den Atlantik entwickelt, um New York und Paris via Landweg zu verbinden. Im Großindustriellen Milliardär Lloyd, seiner Tochter Ethel, die sich in den verheirateten Ingenieur verliebt, und der Börsenspekulantin Woolf findet er Unterstützer. Weltweit entflammt das Börsenfieber. Sieben Jahre wird am Tunnel gebaut, dann ereignet sich im Tunnel eine gewaltige Explosion, die tausende Menschenopfer fordert – inklusive Mac Allans Frau Maud und seiner Tochter.

Der Ansatz des Kreativteams, bestehend aus Komponist und musikalischem Leiter Thilo Wolf, Texter Ewald Arenz und der britischen Regisseurin Jean Renshaw: Die Akteure der Geschichte betrachten ihr Tunnelprojekt als ein großes Spiel. Und so singt Oliver Fobe als kommentierender Erzähler selbst „tot, tot, alle sind tot“ nach dem großen Unglück noch als groovigen Partysong. Ein bissig-böser Ansatz, der an sich begrüßenswert ist und vom Musical-Mainstream erfrischend abweicht. Aber letztlich wird er nicht stringent genug durchgezogen – weil die Liebestragödie am Rande ablenkt, aber nicht wirklich nahe geht; weil mancher Dialog knackig und frech auf dem Punkt gebracht werden könnte, doch plattitüdenhaft und zu brav daher kommt. 

Ein echtes Glanzlicht bildet das Bühnenbild von Marc Jungreithmeier. Er spielt mit einer dreidimensionalen Blockinstallation in unterschiedlicher Höhe und bestückt diese mit den unterschiedlichsten, pixelgenauen Videoprojektionen. Mal stehen die Akteure – von Kostümbildnerin Anna Ignatieva hübsch eingekleidet in die Mode des beginnenden 20. Jahrhunderts - auf Goldmünzsäulen, mal diskutieren sie unterm Atlantik im riesigen Tunnel. Blut spritzt symbolisch über Wände, als die böse Woolf fällt, Feuer flackert und fordert Todesopfer, als der Tunnel einstürzt. Das Bühnenbild bietet gleichzeitig Raum für Drama, Symbolik und comic-hafte Skurrilität – etwa, wenn die Akteure durch die Wolkenkratzer-Welt von New York klettern. Das Tunnelprojekt als großes, spaßiges Spiel – auch optisch.

Gesanglich macht in Der Tunnel vor allem Bettina Meske auf sich aufmerksam. Als „die Böse Woolf“ röhrt, soult und rappt sie auf Teufel komm raus. Davon würde man sich am Abend mehr wünschen, denn das übrige Ensemble liefert gute Leistungen ab, keine Frage, singt aber – abgesehen vom durchgedrehten Oliver Fobe – doch recht brav, schlichtweg, weil`s die Melodien so verlangen. Fobe indes darf in wechselnden Erzählerrollen und schrägen Outfits kommentieren, verspotten und auch einmal moralisieren. Er spielt die Rolle gut, bringt Schräges auf die Bühne. Dass er in manchen Szenen nervt, liegt eher am ausufernden Text denn an seiner Spielart. Nach der Pause steigert sich glücklicherweise schauspielerisch wie gesanglich vor allem auch Alen Hodzovic als Mac Allan. Als dieser sich vor Gericht verteidigen muss, geschieht endlich, was zuvor gefehlt hat: Das Publikum erlebt einen Sänger und Schauspieler, einen Ingenieur und Weltveränderer mit echtem Charisma. Ein weiterer gesanglicher Glanzpunkt am Abend: das Duett zwischen Vater und Tochter, Ansgar Schäfer und Antje Eckermann.

Was dem Tunnel fehlt, sind die markanten musikalischen Momente. Thilo Wolfs Komposition setzt stattdessen auf einige wiederholte Leitthemen. Die sind nett anzuhören, keine Frage, und es wird nicht langweilig. Meist Swing, doch zum Beispiel auch Rap oder Tango – von allem ist etwas dabei. Der „Hach“-Effekt bleibt für den Zuhörer mit Blick auf die Kompositionen aber aus. Viel Spaß bereitet es dagegen, der hochmotivierten Band im Orchestergraben zu lauschen – hier holen Thilo Wolf und seine Musiker aus den Melodien heraus, was herauszuholen ist.

Am Ende tanzt das Ensemble im Discostil, das Publikum applaudiert. Verstärkt zollt es im Stadttheater Fürth vor allem Sängerin Bettina Meske seinen Respekt. Ein Musicalabend geht zu Ende der, das steht außer Frage, den Zuschauern Spaß gemacht hat.

Michaela Schneider



Fotos: Thomas Langer