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Fakten zur Aufführung 

JULIETTA
(Bohuslav Martinů)
21. Juni 2015
(Premiere)

Oper Frankfurt

Points of Honor                      

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Auf ewig mein Traum

Selten gespielt und auf der Opernbühne in Frankfurt am Main nun erstmalig produziert, gelingt Julietta, eine lyrische Oper in drei Akten des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů nach dem Theaterstück Juliette ou la clé des songes von Georges Neveux szenisch wie musikalisch bravourös und erfrischend unterhaltsam.

Vollständig lautet der Original-Titel der Oper Juliette oder Der Traumschlüssel. Die Szenerie, die damit eindeutig umschrieben ist, wird in ihrem gesamten Umfang erst rückblickend klar. Regisseurin Florentine Klepper inszeniert scheinbar reale Irrealitäten und führt damit den Betrachter geschickt verstörend und verwirrend durch das Geschehen. Sebastian Weigle, musikalischer Leiter, verstärkt intensiv Eindruck und Erleben zwischen Komik, Tragik und Groteske durch Sensibilität, Transparenz und Leichtigkeit in jeder musikalischen Sequenz. Sind es Träume, Phantasmagorien oder nur absurde Szenen zwischen Wahn und Wirklichkeit, die der Protagonist durchlebt? Kurt Streit füllt die Partie des Michel stimmlich ausdrucksstark und darstellerisch überzeugend aus und lebt ihn glaubwürdig vor. Zwei Akte lang verfängt sich der Zuschauer an der Seite von Michel in Zustände realer Absurditäten, um im dritten Akt zu erfahren, wie sich die scheinbar widersprüchlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in absolute Surrealität auflösen.

Konsequent konzentriert Klepper den Blick auf einen Innentraum, den der Protagonist nicht verlassen kann, nicht verlassen will. Bühnenbildner Boris Kudlička hat hierfür eine Hotel-Lobby im Stil der 1960-er Jahre entworfen. Holzgetäfelte Wände, ein überdimensionales Panoramafenster mit unmittelbarem Blick auf einen dichten Tropenwald, darüber eine Balustrade als Aussichtsplattform für senile Geister ohne Gesicht und Erinnerung.

Michel, ein Buchhändler, stolpert suchenden Blickes, mit Blumenstrauß, Koffer und Mantel bepackt, in dieses Hotel in einer kleinen französischen Stadt am Meer. Er ist an diesen Ort zurückgekehrt, um Julietta zu finden, ein Mädchen, das ihm drei Jahre zuvor hier begegnete, dessen Stimme ihn verzauberte und seit dieser Zeit nicht mehr los ließ.

Das ist die Geschichte. Alles Weitere sind Sequenzen, Splitter, Verzerrungen, Paradoxien, die sich aneinanderreihen und Michel sukzessive in den Wahn treiben.

Die Menschen, die Michel in diesem Hotel begegnen, entsprechen der Kleidung nach Michels Wahrnehmung von der Realität. Für die Kostüme zeichnet Adriane Westerbarkey verantwortlich. Die fahlen Gesichter dieser Menschen und ihr Gebaren widersprechen diesem Eindruck wie manche Accessoires, die Kudlička geschickt positioniert, vom Protagonisten jedoch unbemerkt bleiben. 

Gleich die erste Begegnung mit dem Jungen – eine auch in den weiteren kleinen Rollen präsente Nina Tarandek – zeigt Michel, dass alle Menschen in diesem Hotel ohne Erinnerungsvermögen leben. Komisch oder apathisch in ihrem Verhalten treiben sie Michel in lächerliche oder tragische Situationen. Davon bleibt der Zuschauer nicht unberührt. Michel ist der typische nette Mitvierziger auf der Suche nach später Erfüllung einer irrealen Liebe. Doch Michel lässt nicht locker. Schließlich findet er seine Julietta und ernüchtert. Juanita Lascarro verkörpert sie als rassige, dunkelhaarige Carmen, die ihn nach heißen Liebesschwüren verlacht, verhöhnt. Es kommt zum Streit. Ein Schuss fällt. Michel flieht, kommt zu sich, glaubt, Julietta verletzt, getötet zu haben und beginnt seine Suche von neuem. In diesem Zustand findet sich der Wachträumende im Traumbüro wieder. Er sieht das Erlebte im Spiegel, erfährt, dass er schon lange in dieses Hotel kommt, um seinen Traum für eine Nacht zu erleben, wie viele andere Männer, um in ihrem Traum ihre Juliette zu finden. Ein Ausstieg ist möglich. Doch der Wahn nach dem Traumbild sitzt tief. Längst fern der eigenen Realität und bar seiner Erinnerung folgt er dem imaginären Ruf seiner Julietta in die ewige Traumwelt.

Bohuslav Martinů fehlt bislang noch die ihm angemessene Beachtung. 1890 im damals ostböhmischen Policka geboren, gilt er in seiner Heimat lange als radikaler Neutöner, später als würdiger Nachfolger Smetanas, Suks und Dvoraks, ist rückblickend betrachtet viel freier zu verstehen. Wissentlich eklektisch greift er Anklänge aus der langen Musiktradition bis in seine Gegenwart auf, um alles bislang Vorhandene in einem ureigenen Personalstil selbständig weiterzuführen. Über 400 Werke, in erster Linie instrumental und vokal, belegen das, darunter seine völlig disparaten Werke für das Musiktheater, insgesamt vierzehn vollendete Opern, davon zwei ursprünglich für den Rundfunk, eine für den Film und zwei für das Fernsehen bestimmte. Julietta bildet nicht den Abschluss, nimmt aber eine zentrale Stellung in seinem Leben und Wirken ein. Im Jahr vor seinem Tod 1959 schreibt er an einen Prager Freund über Juliette: „Das ist die einzige Sache, die ich noch einmal gerne hören würde, bevor ich mich zu den Engeln begebe …“.

Julietta komponiert Martinů 1937 während seiner Pariser Zeit. Die Uraufführung findet 1938 am Prager Nationaltheater in tschechischer Sprache statt. In Frankfurt ist sie in deutscher Sprache zu erleben, die überraschender Weise gut an die Gesangspartien angepasst ist. Das ist von Bedeutung. Martinů wendet sich bewusst von der Synthese der musikalischen, literarischen, szenischen, bühnenbildnerischen und gestischen Elemente ab, um je nach Situation das geeigneteste Element in den Vordergrund zu rücken. Aus diesem scheinbaren Nebeneinander von Gesang, Chor, Lokalkolorit, Echo, Sprechszenen, Bewegung, Traumsequenzen und Charakterbildern mit Anklängen an Debussy, Strawinsky, Satie, Honnegger oder spätromantische Liebestodmotivik und der die Psyche scharf ausleuchtenden Lichtregie von Jan Hartmann resultieren Wirkung und Erfolg.

Martinů wollte sich damit bewusst von übersteigerten Gefühlswelten eines Richard Wagner abgrenzen. Auf diese Weise und mit hervorragenden Sänger-Schauspielern, Chor und von Spielfreude und Expressivität geleiteten Orchestermusikern wie in der Frankfurter Erstaufführung erzielt Julietta ein faszinierendes wie beklemmendes Erleben der Auflösung von Vergangenheit und Zukunft im imaginären Raum.

Christiane Franke

 



Fotos: Barbara Aumüller