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Fakten zur Aufführung 

DREI EINAKTER
(Bohuslav Martinů)
4. Juli 2015
(Premiere)

Oper Frankfurt

Points of Honor                      

Musik

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Lustvoll groteske Narrenspiele

Zeitlich nah an Juliette zeigt die Oper Frankfurt jetzt drei Einakter des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů auf der Werkstattbühne Bockenheimer Depot: Messertränen, Zweimal Alexander und Komödie Auf Der Brücke, komponiert zwischen 1928 und 1937, Zeugnisse einer Protesthaltung gegen etablierte Kunst und Konvention, die mit den Mitteln des Dadaismus, Surrealismus und der Groteske Ausdruck finden, ohne die Tradition auszuklammern.

So erlebt das Publikum Martinů als einen Komponisten, der musikstilistisch nutzt, was Tradition und Gegenwart bietet, um den Blick für das Problem der zwischenmenschlichen Beziehung als Teil der Sinnsuche zu schärfen. Das thematisiert er in allen diesen Einaktern und lässt zu, was Regisseurin Beate Baron wagt: ein Triptychon. Sie überzeugt mit einem glänzend agierenden Rollendebüt-Ensemble.

Ein Bauzaun, Sandaufschüttungen davor und dahinter, ein großer Mast, ein Hochsitz sind die festen Komponenten im Bühnenbild von Yassu Yabara. Außerhalb des Bauzauns auf der Seite links sitzt das Orchester, eine im Kern klassische Kammerbesetzung, solistisch brillant besetzt in jedem Instrument und erweitert um Klavier, Saxophon, Schlagzeug, Banjo und Akkordeon. Das weist auf Martinůs Musik, eine Synthese aus neoklassizistischen, spätromantischen, impressionistischen und symbolistischen Stiltendenzen und tschechischen Volksweisen, aneinander gereiht oder verquickt in zum Teil minimalistischen Einwürfen, die sich geradezu harmonisch in das Gesamtgeschehen einfügen. Dirigent Nikolai Petersen am Pult setzt auf intime Intensität mit explosivem Ausdruck und differenzierender Klarheit wie Schärfe, je nach Situation und Stimmung. Allein das bereitet größten Hörgenuss.

Zwei Frauen winden sich in ekstatischer Verzückung unter einem roten Seidentuch. Ihre Köpfe, ihre Arme recken sie aus Löchern. Es sind Mutter und Tochter Eleonora. Die Tochter ist in den Erhängten verliebt, der schlaff am Mast baumelt. Weil er nicht reagiert, versucht sie, ihn mit einem vorbeikommenden Radfahrer eifersüchtig zu machen, der sich als Satan entpuppt und sie in den Selbstmord treibt. Unter der Maske des Erhängten und mit überlanger Zunge lockt Satan sie zurück ins Leben und verlässt sie mit einer Kusshand für die Mutter. „Ich bin, ich war und werde immer sein: der andre!“ orakelt er bei seinem Abgang und setzt damit den Schlusspunkt für Messertränen. Das Libretto schrieb der dadaistische Dichter Georges Ribemont-Dessaignes. Uraufgeführt wurde der 1928 komponierte Einakter Messertränen erst sieben Jahre nach Martinůs Tod 1969.

Elisabeth Reiter verkörpert die Figur der Eleonore gut fokussiert, kräftig und mit stimmlicher Strahlkraft. Satt und kraftvoll agiert mit ihr die Altistin Katharina Magiera, stimmlich überaus wandelbar in ihrer Rolle, was sie auch in der Funkoper am Ende des Abends in der Rolle der Eva belegt. Der gerne in lyrischen Bariton-Partien brillierende Sebastian Geyer zeigt hier lustvoll düstere Facetten seiner wandelbaren Ausdrucksfähigkeit und lebt sie auch in seinen weiteren Partien des Abend als Alexandre und Sykos aus.

Während über Lautsprecher ein Lied des Dadaisten ertönt und das Publikum unter anderem zum „Trinkt Wasser“ auffordert, was angesichts der Raumtemperatur nicht der Ironie entbehrt, erfolgt der Bühnenumbau in ein modernes Appartement mit Nasszelle. Das Rätsel um das Porträt eines popenhaften Gesichts mit endlos langem Bart, das Thomas Faulkner als lebende Verkörperung des Porträts bereits vor Beginn des Einakters Messertränen mehrfach an die Zaunwand klebte, löst sich im Einakter Zweimal Alexander nach einem Text von André Wurmser. Es stellt das Porträt des Hausherren Alexandre dar.

Alexandre will seine Ehefrau Armande auf die Treue-Probe stellen und gibt vor, kurzfristig verreisen zu müssen, während der Cousin aus Texas sein Kommen angesagt hat. Armande erkennt schnell, dass der sich bartlos präsentierende und aufreißerisch auftretende Cousin ihr Ehemann ist, will aber, dass er diese Cowboyrolle weiterhin spielt. Anna Ryberg zeichnet mit geschmeidigem Ton eine zunächst leicht überspannt exaltierte Armande, die in surreale Traumwelten eintaucht und mit einer unerwarteten Erkenntnis über ihre Beziehungen zu Männern erheitert. Katharina Magiera gibt ein lüsternes Dienstmädchen mit komödiantischer Begabung. Faulkner als lebendig gewordenes Porträt und im dritten Einakter als Bedron überzeugt mit ausdrucksvollem, schönem und sonorem Bassbariton.

Bewusst skurril und mit einer gehörigen Portion Komik gestaltet Baron die Szenerie aus und schafft mit einer radelnden Altherren-Gang sowie Alexandre mit Mäusekopf und Oscar-Verführer mit Krabbenscheren lustvoll gezeichnete Narrenspiele ganz im Sinne der Verflechtung von Dadaismus und Surrealismus und jenseits symbolischer Interpretation oder individueller Charakterisierung.

So auch in der Funkoper Komödie Auf Der Brücke. Begeistert von dem neuen Medium Radio schrieb Martinů 1937 dieses Werk. Den Text entwarf er nach einer Vorlage von Václav Kliment Klicpera. Die Klänge, die er dazu erfand, stehen überwiegend in der Tradition neoklassizistischer Moderne und Folklore. Zwei Sprecher im Kampfanzug, ein Offizier und zwei Sängerpaare erzählen die Geschichte, die sich komödiantisch abspielen könnte, wäre nicht Krieg. Darauf deuten die Leichen. Die Fahrrad-Gang-Statisten liegen tot auf dem Gelände vor dem Bauzaun. Auf der Höhe hinter dem Bauzaun verläuft die imaginäre Brücke zwischen den Fronten. Wer die Brücke betritt, benötigt einen Passierschein. Allerdings gilt der Schein nur für das Betreten und nicht für das Verlassen.

Scharfzüngig bellen abwechselnd Jim Heller und Jens Weiß in der Rolle der Grenzposten ihr „Zurück“. Wer die Brücke betritt, verfängt sich demnach in der sprichwörtlichen Ausweglosigkeit. Das gilt für die Paare Sykos und Popelka, Bedron und Eva. Sie verkörpern das schlichte Volk in bunter Folklore, das sich wie bei einem Bauernschwank in Paarbeziehungen verstrickt, ohne sich der eigentlichen Dramatik bewusst zu sein. Im klanglich ausgewogenen und satten Quartett untermauern Maren Favela mit schlanker ausdrucksvoller Stimme als Popelka sowie Sebastian Geyer als Sykos, Thomas Faulkner in der Rolle als Bedron und Katharina Magiera als Eva diesen Eindruck. Der Schulmeister, verkörpert von Simon Bode mit hellem Timbre und dramatisch ausnuancierter Klanggebung, erscheint weitsichtiger. Sein Rätsel vom Reh, das, von hohen Mauern umgeben, keinen Ausweg weiß, lässt das dramatische Ende vorausahnen. Am Ende liegen alle erschossen auf der Bühne.

Das Publikum applaudiert anerkennend. Darstellerisch, sängerisch und musikalisch haben alle Rollendebütanten unter extremer Hitze uneingeschränkt überzeugt. Das gilt auch für Beate Baron. Wiederum beweist die Regisseurin größte Sensibilität für die szenische Darstellung. Weil eine Funkoper beim Zuhörer vor allem Bilder im Kopf produziert, erzählt sie die Geschichte in einzelnen Szenen-Standbildern. Dadurch gewinnen Sprache, Gesang und Musik noch an Intensität. Die Vielfalt der Musik Martinůs findet eine überzeugende Abbildung. Am Ende verlässt der Besucher den Saal im Bewusstsein, in zahlreichen Details Skurriles, Witz und viele musikalische Details erkannt zu haben und doch wiederkommen zu müssen, um noch zu entdecken, was ihm beim ersten Sehen, Hören und Erleben entgangen ist.

Christiane Franke

 



Fotos: Monika Rittershaus