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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
11. Mai 2014
(Premiere)

Oper Frankfurt


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Die Kunst des Augenblicks

Es ist wohl das berühmteste Bild zu Don Giovanni. Max Slevogt malte 1912 den Sänger Francisco d'Andrade in ausgelassener Pose und herrlich-schönem, weißem Mantel- und Degen-Kostüm. Ein Hut mit weißer Feder auf dem Haupt, ein Handschuh lässig in der Hand geschwenkt. Ursula Renzenbrink zitiert dieses Kostüm im neuen Frankfurter Don Giovanni, wenn der Verführer ein Festgewand zum Finale des ersten Aktes trägt. Aber es ist nur noch ein blass-grauer Schatten seiner selbst. Wie Don Giovanni selbst, dem Leporello in das fahle Gesicht einen kräftigen, schwarzen Bart malt.

Regisseur Christof Loy inszeniert die Oper als Abgesang des ewigen Verführers und wird dabei seinem Ruf als „Psychoanalytiker“ gerecht. Den entscheidenden Augenblick nimmt er mit dem ersten Akkord der Ouvertüre vorweg. Der rote Vorhang fällt zu Boden, man sieht Giovanni in dem Moment, wo er den Komtur tödlich trifft. Dass die Leiche gleich zweimal – auch nach dem Duell – auffällig unauffällig unter der roten Vorhangrolle durch den Bühnenboden verschwindet, macht den Effekt nicht besser, und wie zu erwarten war, wird auch Don Giovanni das gleiche Ende ereilen. Der Anblick des Todes macht Giovanni nun selber anfällig für seine eigene Sterblichkeit, und so pendelt der Held fortan zwischen Aktion und Erwartung hin und her.

Wenig interessant ist das Bühnenbild von Johannes Leiacker. Der graue, ausgediente Theatersaal des ersten Aktes ist da noch relativ aussagekräftig. Aber wieder einmal wird der zweite Akt nur in der vorderen Bühnenhälfte gespielt. In einer braunen Holzkulisse finden sich wie bei einem Adventskalender Türen und Kläppchen, die man nach Herzenslust benutzen kann. Das größte Fenster gehört normalerweise dem 24. Dezember. In diesem Fall ist es für die Friedhofsszene reserviert und dahinter steht natürlich die Statue des Komturs, von der man aber je nach Sitzplatz auch nur die Füße sieht.

Loy inszeniert diese Geschichte durchaus mit Wiedererkennungswert, so dass man die Handlung nachvollziehen kann. Dass Loy sich für Augenblicke interessiert, wird nicht nur angesichts des ersten Bildes klar, sondern auch anhand der Überschrift seiner Erklärung im Programmheft. Doch leider sind es wirklich nur Augenblicke, in denen die Inszenierung richtig spannend wird – trotz einer durchdachten, vielleicht zu durchdachten Personenführung. Es ist interessant, wie der Regisseur mit Hilfe der Kostüme die Protagonisten in ihren Geschlechtern zu Wesenszügen einer Über-Figur formt. Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina haben eine recht große Ähnlichkeit untereinander, wie auch die Herren Giovanni, Leporello, Ottavio und Masetto. Der Komtur schließlich erscheint als eine Art Selbstreflexion Giovannis. Die deutlichste Entwicklung macht sicher Donna Elvira durch, die selbst als Edelmann mit Degen gekleidet ihrem Mann folgt und sich am Ende im Kleid als schöne Dame dem schüchternen Leporello nähert. Dass auch Don Ottavio und Masetto mal in den Mantel des Verführers schlüpfen möchten, gehört eher zu der oberflächlichen Analyse Loys. Zwingender sind da kleine Gesten und Interaktionen, die viel über die Beziehungsstrukturen aussagen. Es ist zu befürchten, dass die Inszenierung im Rahmen der Wiederaufnahmen eben diese Detailfreudigkeit verliert und dann nur die beiden finali als Höhepunkte erhalten bleiben. Die Fechtchoreographie von Thomas Ziesch, die junge Männer zu Giovannis Höllenfahrt ausfechten, ist sehenswert.

Doch zuvor gibt es noch einen Augenblick, in dem die Zuschauer wirklich geschockt sind. Mitten im Non mi dir von Donna Anna, von Brenda Rae so intensiv leise gesungen, ertönt ein Warnsignal, eine elektronische Stimme fordert hartnäckig die Zuschauer auf, das Theater aus Sicherheitsgründen zu verlassen. Sebastian Weigle versucht noch, den Lärm zu ignorieren, dann lässt er abbrechen. Jetzt merkt das Publikum, dass es ernst ist. Man steht auf, wendet sich ruhig, aber bestimmt zum Gehen. Da bemerken einige die niedergeschlagen abbrechende Brenda Rae auf der Bühne, die zu ihrem Don Ottavio hinübergeht. Ein kräftiger Bravo-Sturm wird schnell noch Richtung Bühne gesandt – so viel Zeit muss sein. Zehn Minuten wartet der Großteil des Publikums draußen vor dem Theater. Einige treten direkt den Heimweg an. Bei einigen regt sich die Erinnerung an den Frankfurter Opernbrand von 1987. Dann werden die Türen wieder geöffnet. In einer kurzen Ansprache klärt Intendant Bernd Loebe den Fehlalarm auf.

Zurück zu Mozart: Eigentlich ist dieser Zwischenfall ein Glücksfall, denn so kann man ein zweites Mal erleben, wie emotional-bewegend Rollendebütantin Brenda Rae den Larghetto-Teil ihre Arie gestaltet. Ihre grandiose Donna Anna ist das i-Tüpfelchen in einem geschlossen-kultivierten Ensemble. Lediglich Juanita Lascarros in der Höhe sehr eifersüchtig klirrender Sopran bringt etwas Unruhe in den Klang. Doch ihre Donna Elvira strotzt nur so von körperlicher und vokaler Hingabe. Mit Spannung erwartet wurde Christan Gerhahers Rollendebüt als Don Giovanni, das bis auf wenige Texthänger auch sehr stark ausfiel. Sein Giovanni ist ausgelotet zwischen einem sinnlich-verführerischen Legato und zornigen, fast geschrienen Attacken. Diese machen dadurch Effekt, dass ansonsten sein Bariton fast durchweg auf der Melodie Mozarts mitschwebt, ohne dabei den Ausdruck vermissen zu lassen. Simon Bailey ist mit schlank-agiler Stimme weit entfernt vom buffomäßig polternden Leporello, sondern gibt einen hörigen, schüchternen Diener, der selbst auf der Suche nach seiner Identität ist. Dank der gewählten Prager Fassung kommt man ausnahmsweise in den Genuss des selten gespielten Duettes Per queste tue manine zwischen Leporello und Zerlina. Grazia Doronzio ist mit silbernem, schwerelosem Sopran der Archetyp einer Zerlina und gibt ebenso ihr Rollendebüt wie Björn Bürger als Masetto, der in der eher kleinen Rolle so dynamisch und kraftvoll auftritt, als sänge er den Titelhelden. Stark! Noch ein Rollendebütant: Martin Mitterrutzner ist ein ungewohnt jugendlich-stürmisch auftretender Ottavio, der mit einem kultivierten Dalla sua pace einen echten, berührenden Ruhepunkt setzt. Veteran Robert Lloyd kommt als Komtur zu einem späten, aber verdienten Debüt an der Oper Frankfurt. Nur kurz im Einsatz, aber das höchst effektiv, ist der Chor des Hauses, einstudiert von Markus Ehmann.

Sebastian Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester lassen den Sängern immer Raum zur Entfaltung ihrer Stimmen. Viel aus dem Piano heraus klingt dieser Giovanni gerade in den Streichern und Holzbläsern vor allem schön, dank recht flüssiger Tempi auch pointiert und kurzweilig. Ein bisschen fehlt es noch an der letzten Steigerung zu einer Interpretation, die man atemlos verfolgen möchte. In einigen Augenblicken wird sie erreicht, und dann löst diese Musik Gänsehaut aus. Respekt dafür, dass die Musiker nach dem Abbruch so schnell die Atmosphäre der Oper wieder herstellen können.

Das Frankfurter Publikum kehrt aus der Zwangspause etwas dezimiert zurück, doch der Applaus für die Musiker ist euphorisch. Jeder Sänger wird eifrig bejubelt, das Regieteam bleibt überraschend verschont von Widerspruch. Es herrscht allgemeine Zufriedenheit, die sich über den kleinen Schockmoment legt. Ein lieto fine, wie es von Mozart komponiert sein könnte.

Christoph Broermann

Fotos: Monika Rittershaus