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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
2. April 2015
(Premiere am 5. Mai 2012)

Aalto-Theater Essen


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Im Sanatorium

Geflüstertes Insider-Raunen vor der Wiederaufnahme von La Traviata im Aalto-Musiktheater  Essen. Gegen Überlegungen, die Inszenierung zur Wiederaufnahme zu verändern, habe der Regisseur Josef Ernst Köpplinger sein Veto eingelegt, war zu hören. Da die Wiederaufnahme in den wichtigsten Partien mit neuen Sängerinnen und Sängern besetzt ist, muss sich die Option einer inszenatorischen Nachjustierung nicht per se verbieten. Die Frage, was die Beweggründe für eine Veränderung der Inszenierung gewesen sein könnten, sitzt fortan als Frage mit im Parkett.

Noch während des harmonisch melancholischen Auftakts der Ouvertüre hebt sich der Vorhang. Zu sehen ist ein luxuriöses Sanatorium. Hinter den Fenstern rieselt stimmungsvoll Schnee vor einem Bergpanorama. Bevor die lasziv kränkliche Zauberberg-Stimmung nach Thomas Mann die Sinne vernebelt, öffnet die Ouvertüre im Walzertakt alle Türen. Das Sanatorium verwandelt sich von einem Takt zum nächsten in eine noble Lasterhöhle. Was im Libretto als Salon in Violettas Haus bezeichnet wird, ist das Freudenhaus einer Edelprostituierten.

Laster, Lust, Vergnügen, alles, was Spaß macht, Genuss verspricht, wird vorgeführt. Die Inszenierung von Köpplinger stellt das vordergründig aus. Nach dem Motto: Wer es nicht gleich versteht, dem zeige ich es. Er bietet dazu eine Statisterie auf, die nichts anderes zu tun hat, als zu demonstrieren, was Sache an diesem Ort ist. Ein nackter Jungmann kreuzt sich mit einer androgynen Jungmännin in erotischem posing. Beide und weitere mehr oder weniger bekleidete Männer und Frauen haben dann im Weiteren die Aufgabe, sich bedeutungsvoll zu rekeln, Körper zu zeigen und sich in der Manier griechischer Jünglingsstatuen aufzustellen oder die aphrodisierende Fee zu geben.

Möglicherweise stand diese vordergründige, schon oft gesehene, inzwischen leergelaufene und letztlich wirkungslos bleibende Bebilderung für die Wiederaufnahme in Frage. Neben dieser kalkulierten, pornografienahen Gratwanderung gibt sich die Inszenierung punktuell auch schon mal martialisch. Im Programmheft, das noch aus der Stefan-Soltesz-Ära der Premiere stammt – mit Fotografien von vor drei Jahren – und kommentarlos für die Wiederaufnahme verwendet wird, sind die Stierkämpfer mit blutroten, aufgepappten Wundmalen zu sehen. Das ist jetzt mit der Geste eines roten Körperstrichs reduziert worden. Mit oder ohne Zustimmung des Regisseurs, bleibt unbeantwortet.

Köpplinger inszeniert Verdis La Traviata ohne Pause aus der Perspektive der Violetta. Vorgeführt wird im Kontext von Amore e morte – so sollte die Oper ursprünglich heißen – die Manipulation von Frauen durch Männer. So wie sie damals gang und gäbe war – und auch heute, wenn auch subtiler, verdeckter immer noch passiert. Als Verdi 1852  die Romanvorlage La Dame aux camélias von Alexandre Dumas d.J. gewissermaßen als Deckmantel erstmals für die musikdramatische Gestaltung einer tagesaktuellen Geschichte der 23-jährigen, an Schwindsucht gestorbenen Prostituierten Marie Duplessis nahm, sah er sich mit den Spielarten bürgerlicher Scheinmoral konfrontiert.

Während Verdi auf die Zeit um 1700 zurückgeht, geht Köpplinger in die überhitzten, die bis dahin allgemein geltenden Tabus brechenden 1920-er Jahre vorwärts. Über die gelungene dramaturgische Umsetzung seines imperativen Gestaltungsanspruchs „Ich möchte La Traviata ehrlich und sinnlich erzählen!“ sind, was das Sinnliche betrifft, die genannten Zweifel angebracht. Die ehrliche Absicht, La Traviata nicht nur als ein fremd gesteuertes Schicksal zu zeigen, in dem eine Frau vom Wege abgekommen ist, zoomt Köpplingers Inszenierung Violettas Lebensmöglichkeiten vom Ende her als perspektivlos. Sie ist von vorn herein zum Scheitern verurteilt.

Unabhängig von der mit La Traviata seit ihrer zweiten Uraufführung 1854 weltweiten Eroberung der Opernbühnen, insbesondere durch Verdis bühnenwirksame Arien-Ohrwurm-Komposition, bleibt das Menetekel der vom rechten Wege Abgekommenen in vielen Inszenierungen unberücksichtigt. Wer vom Weg abkommt, verliert schnell die Orientierung. Von wem oder was aber wird der richtige Weg bestimmt? Köpplinger fragt indirekt und öffnet direkt die Büchse der Pandora. Violettas Feiergesellschaft strahlt, verglichen mit der heute alle Winkel menschlicher Vergnügungssucht ausleuchtenden „Eventisierung“, dagegen wie mattes Kerzenlicht.

Verdi hat mit La Traviata eine Oper komponiert, die eine Nummernfolge von Arien und Duetten ist, die den dramatischen Sopranistinnen von Maria Callas bis Anna Netrebko schon immer reichlich Gelegenheit gab und gibt zu glänzen. Die erzählte Geschichte, deklamierend bis beschwörend vom Opernchor des Aalto-Theaters vorwärts getrieben, hat vor allem eine Platzhalterfunktion als Ankündigungsperspektive für  die Arien-Bühnenpräsenz. Alexander Eberle hat die durchaus schwierige Aufgabe, den Chor trotz des inszenatorisch geforderten Aktionismus präzis und punktgenau zum Klingen zu bringen, ausbalanciert. 

Die italienische  Sopranistin Angela Nisi als Violetta reiht sich in Essen umstandslos in die Phalanx der schönen Stimmen ein. Sie verfügt über einen in den Höhen silbrig klingenden Sopran als auch in den Mittellagen über ein mezzosopranes Volumen. Selbst in den narrativen, leisen Sprech-Passagen beschwört sie in wenigen Sätzen mit ihrer Stimme eindringlich Violettas Not zwischen Eros und Thanatos. Am Ende verbeugt sie sich nicht nur sichtlich gerührt von dem stürmischen Applaus. Lächelnd, gleichzeitig tief durchatmend, sieht man ihr an, welche Kraftanstrengung es bedeutet, zwei Stunden permanent auf der Bühne zu stehen.

In der Rolle des zwiespältigen, schwankenden Alfredo, der sich letztlich von der scheinheiligen Moraldominanz seines Übervaters – vom Bariton Heiko Trinsinger souverän, verlässlich die Macht- und Nachtseiten dunkel grundierend, gestaltet -  ebenso wenig lösen kann, wie er unfähig ist, in den entscheidenden Momenten die Liebe als solche zu erkennen, geschweige denn, sie zu schützen.  

Mit Abdellah Lasri hat das Aalto-Theater seit der Spielzeit 2013/14 einen Tenor in seinem Ensemble, der schon in kurzer Zeit beweisen konnte, was Essen an ihm hat. Akzentuiert artikulierend, scheint es, als würde ihn seine Stimme instinktiv so führen, wie es in der Partitur steht. Lasri singt Alfredo in der Pose eines Troubadours als traurigen Helden.

Als Alfredo Violetta im ersten Akt seine Liebe gesteht, sie im Duett Un di felice auf die Chance eines gemeinsamen Glücks noch hoffen, schwebt schon der Todesengel über der unheilbar an Schwindsucht Erkrankten. Sentiment, gestimmt mit gefühlvoller Italianità, initiieren einen ersten Szenenapplaus. Nisi und Lasri singen sich fortan von Applaus zu Applaus.

Guillermo García Calvo  am Pult der Essener Philharmoniker dirigiert mit südlicher Empathie durchaus einverstanden und willig auf den Applaus zu. Das Orchester folgt ihm biegsam, wobei die Temperamente von Orchester und Dirigent mitunter nicht immer evident sind.

Auf dem Weg zur Garderobe nicken sich überwiegend zufriedene Gesichter zu. Daneben sind aber auch Stimmen zu hören, die sich um eine Pause betrogen fühlen. Oper ohne Pause scheint jenen keine richtige Oper zu sein.

Peter E. Rytz

Fotos: Saad Hamza