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Fakten zur Aufführung 

THE GREEK PASSION
(Bohuslav Martinů)
26. September 2015
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Flüchtlingselend in klingendem Samt

Bereits mit der Eröffnungspremiere zeichnet sich ab, dass das Essener Aalto-Theater musikalisch weiterhin eine Spitzenposition in der konkurrenzstarken Theaterlandschaft an Rhein und Ruhr einnehmen wird. Selbst wenn Generalmusikdirektor Tomáš Netopil mit Bohuslav Martinůs letzter Oper The Greek Passion – Die griechische Passion – ein Werk ausgewählt hat, das ihm als Tscheche zwar am Herzen liegen mag, dem es auch beileibe nicht an aktueller Brisanz fehlt, das dennoch in seiner stilistisch widersprüchlichen Struktur und seiner frömmelnden Religiosität einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.

Seine Zweifel an der Gültig- und Wirksamkeit christlicher Werte verknüpft der Komponist mit einem Flüchtlingsdrama. Aktueller geht es nicht. Zum Glück lief der tschechische Regisseur Jiří Heřman durch die lange Vorplanung nicht in Gefahr, die zeitlose Botschaft der Oper durch plakative tagesaktuelle Anspielungen einzuengen. Die Fragen, die Martinů aufwirft, sind ohnehin brennend wie eh und je: Wie gehen wir mit notleidenden Menschen um? Welchen Wert haben noch christliche Tugenden?

Die Handlung auf der Grundlage des Romans Der wieder gekreuzigte Christus des Alexis-Sorbas-Autors Nikos Katzantzakis in Kürze: Von Türken vertriebene griechische Flüchtlinge dringen hilfesuchend in ein griechisches Dorf, das sich gerade auf die Passionsspiele vorbereitet, sich nicht in seiner idyllischen Frömmigkeit vom Flüchtlingselend stören lassen will und den notleidenden Landsleuten jede Hilfe verweigert. Nur der Darsteller des Christus, Manolios, versteht neben einigen wenigen Anhängern die christliche Botschaft der Nächstenliebe und identifiziert sich so stark mit seiner Rolle als Jesus, dass er zum Aufstand aufruft und am Ende, pünktlich zum Weihnachtsfest, vom Popen angestachelt, vom Darsteller des Judas erschlagen wird. Die Flüchtlinge ziehen weiter. In Essen fallen sie tot um.

Martinů wusste in der 1957 fertiggestellten, zwei Jahre später umgearbeiteten Oper, wovon er sprach. Er war in seiner tschechischen Heimat zunächst dem nationalsozialistischen, später dem stalinistischen Terror ausgesetzt und sah sich selbst im amerikanischen Exil der antikommunistischen McCarthy-Hysterie ausgeliefert. Verharmlosung des Problems darf man ihm also nicht vorwerfen.

Dennoch hinterlässt das Werk, vor allem in der in Essen gezeigten späteren Fassung, einen zwiespältigen Eindruck. In der ersten Version, an der die Wuppertaler vor fünf Jahren auf ganzer Linie gescheitert sind, bringt Martinů in kurzen Szenen mit harten Filmschnitten die wunden Punkte einer selbstzufriedenen Christenheit in einer von Unrecht bestimmten Welt treffsicher zum Ausdruck. Stilistisch klittert er dort salbungsvolle Choräle, melodramatische Monologe, expressive Arien, folkloristische Bauernmusiken und überwältigende Chöre zu einer scheinbar willkürlich strukturierten Collage zusammen, die ebenso unfertig und widersprüchlich wirkt wie die Welt, die sie reflektiert. Die harten Schnitte werden in der jetzt gezeigten Fassung gemildert, etliche Brüche gekittet und der Gesamtklang aufgeweicht. Das führt zu faszinierend schönen musikalischen Effekten und Höhepunkten, die Netopil mit den Essener Philharmonikern auch leuchtkräftig und üppig blühend ausspielt. Es verstärkt aber auch den nazarenerhaft frömmelnden Grundton, der so narkotisierend wirkt, dass auch der Regisseur die nötige Distanz zu verlieren scheint und die Oper zu einem Mysterienspiel mit pathetischen Prozessionen, betenden Händen, erleuchteten Augen und erbarmungswürdigen Hungertoten stilisiert.

Das können auch die wuchtigen Dekorationen von Jiří Heřman und Dragan Stojčevski nicht abfedern. Eine gewaltige Mauer, die zeitweise auseinanderreißt und den Blick in eine imaginäre, letztlich aber durch Gitter versperrte Freiheit freigibt. Eine riesige Glocke, die am Schluss stumm geläutet wird, löst eher bedrohliche Gefühle aus als Weihnachtsfreuden. Und ein Bauwagen, der Salatköpfe plattwalzt, ist ebenso überflüssig und aussageschwach wie ein trauriger Akkordeonspieler, der immer wieder mit Volksweisen und Schlager Brechtsche Distanz zum katholisch-orthodoxen Weihrauch schaffen soll.
Die mysterienhafte Präsentation verleitet den Regisseur zu einer recht konventionellen Personenführung, die oft in oratorienhafte Statik mündet. Das schränkt auch die darstellerische Präsenz der Figuren ein, die in der riesigen Filmkulisse ohnehin sehr klein wirken. Vokal ist an der Aufführung ebenso wenig auszusetzen wie an der musikalischen Leitung durch Netopil, der das Orchester so schön klingen lässt, als wollte er die verbliebenen Risse der späten Fassung glätten.

Almas Svilpa gestaltet den hasserfüllten Priester Grigoris mit mächtiger baritonaler Strahlkraft und mutiert vom Prediger zu einem recht platt auftretenden Gewaltmenschen. Jeffrey Dowd, der Essener Heldentenor vom Dienst, bewältigt auch die Rolle des sensiblen Manolios mühelos. Neu im Ensemble ist die Sopranistin Jessica Muirhead, die die Rolle der geläuterten Hure Katerina kraft- und glanzvoll aussingt. Vorbildlich insgesamt die äußerst geschlossene Ensembleleistung, so dass die fast zwanzig Solopartien durchweg hochwertig besetzt werden können. So auch die Judas-Rolle mit Alexey Sayapin, der Petrus mit Michael Smallwood und die kapriziöse Lenio mit der stimmlich und darstellerisch geschmeidigen Christina Clark. Ein Sonderlob verdienen die von Patrick Jaskolka einstudierten Chöre, die vom Kinder- bis zum Extrachor die stärksten Eindrücke hinterlassen.

Freundlicher, insgesamt etwas zurückhaltender Beifall für alle Beteiligten. Für Jubelstürme bietet das Thema auch keinen Anlass. Schön, dass das Publikum nach den zarten Schlussklängen mit dem Beifall so lange wartet, bis sich der langsam fallende Vorhang endgültig geschlossen hat. Gesungen wird in englischer Sprache mit Untertiteln, dem Londoner Uraufführungsort entsprechend.

Pedro Obiera

Fotos: Matthias Jung