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Fakten zur Aufführung 

DIE SCHWEIGSAME FRAU
(Richard Strauss)
14. März 2015
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Die Farce von der Ruhe

Nach drei Stunden Hoffnung, Ruhe vor dem Lärm der Welt zu finden, verlässt Morosus die Theaterbühne. Er begibt sich ins Parkett des Aalto-Musiktheaters Essen an diesem Premierenabend von Die schweigsame Frau. Er glaubt, in der Realität angekommen zu sein, glaubt, für sich die Überzeugung gewonnen zu haben Wie schön ist doch die Musik – aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist! Aber seine zuversichtliche Hoffnung Nur Ruhe! Aaah – Aaah – Aaah! wird, kaum dass Morosussie zu Ende gesungen hat, von lauten bravi und lärmendem Applaus durchkreuzt.

Richard Strauss suchte nach dem Tod seines langjährigen Librettisten Hugo von Hoffmansthal nach einem Stoff, mit dem er sich noch einmal als Opernkomponist beweisen wollte. Nach Verdis Falstaff schwebte ihm eine Opéra comique vor. Stefan Zweig unterbreitete ihm auf der Grundlage der Novelle Epicone or The silent woman von Ben Jonson, geschrieben 1609, einen Libretto-Text, dem er begeistert zustimmte. Für Strauss das „beste Libretto für eine Opéra comique seit Figaro“. Mitte der 1930-er Jahre, schon über 60 Jahre alt, sah er darin eine kompositorische Herausforderung, Altersweisheit und Jugendlichkeit mit ihren je unterschiedlichen Lebensperspektiven aufeinander prallen zu lassen. Am Ende von Strauss in altersmilder Sicht aufgelöst: Heitere Melancholie eines alternden Mannes und das Glück einer jugendfrischen Liebe.

Morosus anfänglicher Seufzer „Wie kann man schlafen, wenn immer eine ganze Herde von Brüllhälsen wach ist?“ findet in manchem Stöhnen über lärmige Feiergesellschaften eine unmittelbare Fortsetzung im Heute. Die spielfröhliche Komödiantentruppe seines Neffen Henry reagiert auf des Alten Ärgernis und Rechthaberei mit Trotz „Ein Katzenkonzert jeden Abend vor seiner Tür. Grossi Timpani e Tromboni jeden Abend, jeden Abend, bis er revoziert.“ Die schweigsame Frau eröffnet einem intriganten Verwirr- und Entlarvungsspiel von Liebe, Macht und Glück viele Theatertüren.

Laut singende, feiernde Lebensfreude versus Abschottung von Lärm und Leben. So beginnt ein anregend aufregendes Spiel, in dem Strauss die Gesangsstimmen und – in Form der rezitierenden, erzählenden Stimme des Barbiers als Morosus‘ Einflüsterer – zu einer musikalisch und spielerisch formidablen Struktur zusammenführt.  

Die Neuinszenierung von Guy Joosten am Aalto-Musiktheater Essen setzt auf die Dramaturgie einer Farce mit Texttreue. Dabei wird schon nach wenigen Minuten die Gradwanderung zwischen Farce und Klamauk deutlich. Inszenierungen, die das Kippmoment einer Balance zwischen beiden überstrapazieren, sind ständig auf der Suche nach ihrer künstlerischen Mitte. Warum die erfrischende Lustspiel-Ouvertüre mit Video-Verschnitten in der Manier von Fluch der Karibik bebildert werden muss, hat ebenso wenig dramaturgische Plausibilität wie die in Sekundentakten sequentiell zusammen geschnittene Elefantenherde irgendwo in Afrika zu Beginn des dritten Aktes.

Johannes Leiacker hat eine grell ausgeleuchtete Bühnen-Insel gebaut, wie er auch die Kostüme in ähnlich schrillen Farben entworfen hat. Irgendwo zwischen Robinson-Crusoe-Märchenphantasie und Traumschiff-Kitsch. Anfangs bepflanzt mit stachligen Kakteen, die Morosus' Ruhewunsch immer wieder eine Reibungsfläche für mitunter vordergründig motiviertes, slapstickartiges Spielen bieten. Später, wenn sich die Gemüter beruhigt haben, mutieren die stachligen Gewächse zu sanfter Palmen-Wohnzimmer-Herrlichkeit.

Franz Hawlata bringt für die zwiespältige Rolle des Morosus eine variable Bass-Klangfarbe ein, die durch schauspielerische Verve ideal ergänzt wird. Da er diese Partie gleichzeitig auch in der Inszenierung von Barrie Kosky an der Bayerischen Staatsoper in München singt, ergibt sich ein interessanter Vergleich einer individuellen Rollengestaltung in verschiedenen Spielanlagen. In Essen findet Hawlata zwar erst nach und nach eine Farce-adäquate Spielform nach Joosten. Dafür glänzt er mit einem emotional höchst anspruchsvollen und emotional tief lotenden Bass in der Schlussszene. Hier erreicht die Inszenierung den schlüssigen Punkt, den man davor stellenweise vermisst.

Strauss‘ komische Oper ist eine Typenkomödie, in der die einzelnen Protagonisten sowohl Lebensschläue als auch Naivität besitzen. Martijn Cornet gibt dem Barbier nicht nur eine baritonal räsonierende Sing- und Sprechstimme. Er ist dem inszenatorischen Flair seines niederländischen Landsmanns Joosten am meisten zugeneigt. Seine Stimme überspitzt in der Artikulation und fällt der Farce in die Arme.

Die zentrale Figur der Aminta lebt von einem Koloratursopran, der über ein mehrfach gestrichenes hohes C hinweg singen kann. Die Sopranistin Julia Bauer singt sich passagenweise angestrengt kieksend nach oben. Der Wechsel von Aminta zu Timida ist ein sängerischer und spielerischer Balanceakt, dessen Glaubwürdigkeit sich in der Farce einer Trauminsel-Welt versteckt.

Neffe Henry, der von seinen Komödianten in ein intrigantes Spiel mit seinem Onkel Morosus gedrängt wird, sieht sich unvermittelt zwischen familiärer Loyalität und ökonomisch gesicherter Liebeszukunft stehen. Michael Smallwood singt diese Rolle mit farbig temperiertem Tenor. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, als ob der Spieler dem Sänger im Weg stünde. 

Richard Strauss hat mit Die schweigsame Frau die zur Zeit der Komposition heraufziehende Moderne in einer Art und Weise antizipiert, die in ihrem Reflex für den heutigen Zustand der Welt geradezu hellsichtig erscheint. Joosten reflektiert in chamois-gefärbten Traumbildern eine Wirklichkeit, die heute immer mehr wie ein Tanz auf dem Vulkan anmutet.

Strauss‘ demografisch konnotierte Assoziationen Ich bin zu alt und Was jung ist, liebt die Jugend ist nicht die ganze Wahrheit. Joostens Inszenierung findet erst nach Umwegen zu ihrer Ruhe-Wahrheit. Aber in unserer bunten und lauten Welt hat selbst die nach innen verlagerte Ruhe keinen dauerhaften Platz mehr.

Der begeisterte Applaus des Publikums gilt dem Team um Guy Joosten, den Solisten und dem Ensemble sowie dem Dirigenten Martyn Brabbins, der die Essener Philharmoniker sicher durch die Untiefen der Strauss’schen Partitur geleitet. 

Peter E. Rytz

 

Fotos: Matthias Jung