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Fakten zur Aufführung 

MUCH DANCE
(Jan Decorte)
28. August 2015
(Premiere)

Ruhrtriennale, Zeche Zollverein,
Essen


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

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Die Liebe ist ein seltsames Spiel ...

Tanz als Ausdruck von ästhetischer Schönheit, athletischer Kraft und makelloser Präzision: Das alles darf man nicht erwarten, wenn Jan Decorte am Werke ist. Allerdings präsentiert sich der belgische Regisseur in Much Dance nicht als der Chaot und radikale Provokateur von einst, sondern als irritierend zart gereiftes Sensibelchen, das in 100 in sieben Episoden zerteilten Minuten ein elegisch-leises, von feiner Ironie durchdrungenes Plädoyer für die „Liebe zum Leben und die Angst vor dem Tod“ zelebriert.

Ehrensache, dass der 65-jährige Theatermann für seine in den Münchner Kammerspielen aus der Taufe gehobene Kreation auf Tanz-Profis verzichtet und seine Intentionen drei Schauspielern und sich selbst anvertraut. Der Meister, schwarz gewandet, mit seiner silber-grauen Haarpracht und dem zerfurchten Gesicht an einen weisen Stammesältesten aus einem Karl-May-Film erinnernd, betrachtet das Geschehen meist regungslos vom Rand der Bühne aus. Selten und spät greift er ein. Am Beeindruckendsten, wenn ihn offenbar der Herztod ereilt und seine Gattin, die Schauspielerin Sigrid Vinks, seinen Körper kräftezehrend an der Rampe entlang schleift. Sigrid Vinks, auch nicht mehr die Jüngste, aber von gertenschlanker Gestalt, bewegt sich von den Akteuren am biegsamsten. Das lässt sich von Benny Claessens nicht sagen, einem Koloss mit einem unschuldigen Kindergesicht, der auch in Accattone schon beeindruckte und dem sich Johan Simons, der Intendant der Ruhrtriennale, an den Münchner Kammerspielen besonders eng verbunden fühlte. Wenn Claessens nicht gerade dem revoltierenden Münchner Publikum den Stinkefinger zeigt, wie schlagzeilenträchtig geschehen.

Einen optischen Kontrapunkt dazu bildet Risto Kübar mit seiner knochigen, spindeldürren Erscheinung. Die Nacktheit der beiden Männer wird nur durch einen schlichten Wickelrock verdeckt, so dass die physiognomischen Besonderheiten schonungslos zur Geltung kommen. Wenn sich alle drei zu galanter Tanzmusik aus der Renaissance zu einem Pas de Trois vereinigen, führt gerade das Bemühen um Synchronität zu skurrilen Verschiebungen und Kontrasten, die so radikal ausgespielt werden, dass sie nicht peinlich wirken, sondern allenfalls ironisch gefärbt.

Eindrücke, die sich in eindeutigen Liebesszenen noch steigern. Die Körper drängen zueinander, passen aber nicht so recht zusammen. Da kann der dürre Risto Kübar seinen üppig ausgestatteten Kollegen noch so oft und heftig anspringen: Er rutscht immer wieder von den schweißtriefenden Fleischmassen ab. Und auch der Versuch, sich gegenseitig zu umarmen, führt zu Konflikten statt zur Erfüllung der Sehnsüchte. Und entspannt sieht es auch nicht aus, wenn Vinks ihren korpulenten Kollegen Claessens als Reitpferd traktiert.

Getrennt werden die sieben Episoden durch die schlichte Rezitation absurder Liebesgedichte aus der Feder Jan Decortes durch Kübar, der die Vorträge freilich vorzeitig und überraschend abbricht und in eine Schockstarre verfällt. Ab und zu erklingt Musik von der Renaissance über Offenbachs Höllen-Galopp, den die Darsteller fast regungslos über sich ergehen lassen, bis zur britischen R&B-Entdeckung FKA Twigs, deren Hit Water me live von den Männern angestimmt wird. Angesiedelt ist alles in dem mit schlichten Glühbirnen versehenen Bühnenraum der Zeche Zollverein, ergänzt durch drei mit kugelförmigen Spiegeln ausgestatteten Holzstellagen, die das Geschehen verzerrt reflektieren. Für die minimalistische Ausstattung zeichnen Jan Decorte und Johan Daenen verantwortlich.

Viel Beifall für eine Tanzpräsentation der besonderen Art, wie sie dem bewährten Tanz-Konzept der Ruhrtriennale entspricht.

Pedro Obiera

 

Fotos: Danny Willems