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Fakten zur Aufführung 

MODEL
(Richard Siegal)
16. August 2015
(Premiere)

Ruhrtriennale, Zeche Zollverein,
Essen


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

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Ach, du schöne Hölle ...

Gerard Mortier, Jürgen Flimm, Willy Decker, Heiner Goebbels und seit diesem Jahr Johan Simons: So sehr sich die Handschriften der bisherigen Intendanten der Ruhrtriennale unterschieden, so geradlinig und einhellig präsentieren sich die Beiträge zum Tanztheater als kleine Retrospektiven der zeitgenössischen Tanzszene. Das gilt auch für die Uraufführung von Richard Siegals 40-minütigem Ballett Model, die im Salzlager der Kokerei der Essener Zeche Zollverein auf begeisterte Zustimmung stößt. Eine Produktion, die freilich nur in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsballett, dem Festspielhaus St. Pölten und weiteren Partnern zustandekommen konnte, wobei der Abend durch eine vor einem Jahr aus der Taufe gehobenen Arbeit Siegals ergänzt wurde.

Gleichwohl: Die Ruhrtriennale ist Veranstalter der Uraufführung und die nüchterne Atmosphäre des Zechenambientes bietet einen vielfach erprobten und auch diesmal trefflichen Rahmen für eine hochwertig konzipierte und ausgeführte Tanzkreation.

Dass Siegal zwischen 1997 und 2004 im Ensemble William Forsythes getanzt hat, bleibt unverkennbar, auch wenn er eine erfreulich eigene Handschrift gefunden hat. Faszinierend an Siegals Kunst ist seine Fähigkeit, aus dem Bewegungsreservoir des klassischen Balletts neue, überaus kreative Formationen zu entwickeln. Und zwar so souverän und nahtlos, als handle es sich um organische Mutationen. Runder und natürlicher, als man es von Siegals einstigem Mentor John Forsythe kennt. Freilich auch glatter.

Das brillante Ensemble setzt sich zusammen aus Mitgliedern des Bayerischen Staatsballetts und Siegals eigener Company The Bakery. Trotz der fast gegensätzlichen Ausrichtung der Stammensembles agieren die Tänzer so harmonisch miteinander, dass Unterschiede nicht zu erkennen sind.

Dass Siegal in Model sozusagen Himmel und vor allem Hölle in Bewegung setzen will, merkt man der Schönheit der Bewegungen nicht an. Die Grenzen zwischen Paradies und Hölle verwischen, wenn sich die in skelettartigem Oberteil gewandeten sechs Herren und vier Damen, gleißendem Lichtgewitter und akustischem Dauerbeschuss ausgesetzt, im imaginären Höllenkessel bewegen, teilweise in klassischer Harmonie, oft auf Spitze, bisweilen marionettenhaft verdreht, ohne je den Schleier ästhetischer Noblesse abzulegen. Man spürt den Drang, zu symmetrischen Bewegungsabläufen und Gruppierungen zu finden, ohne dass diese Harmonie je erreicht wird.

Siegal orientiert sich in seiner Vorstellung von der Hölle weniger an Dantes Göttlicher Komödie als an Jorge Luis Borges Vision, die Betrachtung eines Antlitzes könne beim Jüngsten Gericht von den Verworfenen als Hölle und von den Erwählten als Paradies empfunden werden. Ein Antlitz erscheint in Model in Form eines Babygesichts, das entsprechend unterschiedliche Reaktionen hervorruft.

Die sensible Ästhetik der Choreografie prallt auf eine infernalisch brutale Klangkulisse, die Lorenzo Bianchi Hoesch zusammengemischt hat, ergänzt durch grelle Lichteffekte von Gilles Gentner. Bombeneinschläge, kreischende Maschinengeräusche bilden einen schroffen Kontrast zur tänzerischen Kulisse. Ähnlich wie die Musik Johann Sebastian Bachs zum brutalen Realismus der Pasolini-Adaption Accattone, mit der am Tag zuvor die Ruhrtriennale mit einer Inszenierung des Intendanten offiziell eröffnet wurde.

Die starken akustischen Impulse aus der Klangwerkstatt Hoeschs bestimmen auch das im letzten Jahr entstandene, mit 20 Minuten halb so lange Tanzstück Metric Dozen, das der Uraufführung vorangestellt wird. Eine Bewegungsstudie, die stärker auf punktuelle Posen ausgerichtet ist, Schaufensterpuppen nicht unähnlich. Was in Model breit ausgeführt wird, kündigt sich hier in konzentrierter Form an.

Begeisterter Beifall für beide Stücke und das glänzende Ensemble, das die schweißtreibenden Werke ebenso perfekt wie virtuos ausführt. Empfehlung: die ausgelegten Ohrstöpsel unbedingt verwenden.

Pedro Obiera

 

Fotos: Ursula Kaufmann/Wilfried Hösl