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Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
4. Oktober 2014
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Puccini fürs Hirn, weniger fürs Herz

Nach Graz und Dresden findet Stefan Herheims Annäherungsversuch an Giacomo Puccinis ersten Welterfolg Manon Lescaut zum Saisonstart auch auf die Bühne des Essener Aalto-Theaters. Von „Drittverwertung“ will der Regisseur allerdings nicht sprechen, kümmerte er sich doch höchstpersönlich um den Feinschliff und stellte sich auch tapfer dem mit Buh-Rufen nicht geizendem Publikum der Essener Premiere. Dass sein Name auf dem Plakat gleich zwei Mal auftaucht – Inszenierung: Stefan Herheim; Szenische Einstudierung: Stefan Herheim – gehört zu den Skurrilitäten des heutigen Theateralltags, an die wir uns wohl gewöhnen müssen, wenn immer mehr Produktionen auf Tournee gehen. Immerhin hat Herheim sein „Kind“ nicht so lieblos aus den Augen verloren wie Robert Carsen in der letzten Saison, der Janáčeks Jenufa ganz seinen Assistenten überließ.

Herheims Don Giovanni am Aalto-Theater ist unvergessen. Von diesem Niveau ist seine Manon Lescaut so weit entfernt wie Le Havre von New York, den geografischen Fixpunkten seiner Werkdeutung. Im Vorfeld äußerte er bereits überdeutlich seine Skepsis an dem von sieben Librettisten zusammengebastelten Libretto. Das geringe Vertrauen in die Tragfähigkeit des Textbuchs beflügelt ihn zu theoretischen und gesellschaftsanalytischen Exkursen, mit denen er das Werk intellektuell geradezu paralysiert.

Sein Hauptproblem: Er ist mehr an der Roman-Vorlage des Abbé Prevost interessiert, der die anrüchige Geschichte um den Theologie-Studenten des Grieux und das schillernde Mädchen aus gutem Haus aus der Sicht des angehenden Geistlichen darstellt. Puccini stellt die Perspektive auf den Kopf. Er ist mit Haut und Haaren der jungen Frau und ihrem bewegten und bewegenden Schicksal verfallen. Sieben Librettisten verschliss Puccini, um die Geschichte nach seinen Vorstellungen umbiegen zu können. Herheim nimmt das zum Anlass, dass auf der Bühne ständig am Libretto gebastelt wird und der kettenrauchende Komponist in einer Statistenrolle sogar persönlich eingreift. Dass Herheim den Komponisten auftreten lässt, wirkt dennoch, wie vieles an diesem Abend, aufgesetzt, tut er doch alles daran, die glühende Leidenschaft Puccinis für seine Frauengestalten radikal auszukühlen. Für die gleichermaßen emphatische wie empathische Sinnlichkeit, die Puccinis Musik immer dann ausstrahlt, wenn seine noch so starken oder abgebrühten Heldinnen zu leidenden Opfern werden, zeigt Herheim nicht das geringste Verständnis.

Deshalb misstraut er auch der Liebesfähigkeit des Grieux‘. Herheim hält die beiden auf Distanz, indem sie sich mit allem möglichen beschäftigen, nur nicht mit sich selbst. Da liest während eines Duetts einer im Libretto, Manon interessiert sich mehr für die Gestalt des Komponisten und des Grieux schlüpft wiederholt in die Rolle des Schöpfers der Freiheitsstatue, die tatsächlich von Le Havre nach Amerika verschifft wurde, ebenso wie Manon und ihre Leidensgenossinnen. Manon wird zur Allegorie der Miss Liberty, die ebenso scheitert wie Amerika als Hort einer vermeintlichen Freiheit.

Eine Idee, die die Bühnenbildnerin Heike Scheele zu kühnen Konstruktionen anregt. Unermüdlich wird an dem Modell der Statue gebaut, die auch in monumentalen Dimensionen die Bühne beherrscht. Abgesehen von der Erkenntnis, dass auch die Vorstellung Amerikas als Siegelbewahrer der Freiheit nur als Illusion zu halten ist, steht dieser Ansatz einer packenden Inszenierung kontraproduktiv im Wege. Kulminierend im Schlussbild, in dem sich des Grieux um die Statue und das Libretto kümmert, während sich Manon mit Puccini zu arrangieren versucht. Und zwar nicht in der einsamen Wüste Nevadas, sondern in Anwesenheit des Chors, der auf den Baugerüsten der Miss Liberty dem Treiben zusieht. Dass Puccini in diesem sinnenfeindlichen Umfeld letztlich zusammenbricht: Immerhin das ist nachvollziehbar.

Das alles schafft ablenkende Verwirrung und Distanz, die das psychologisch aufgeheizte Stück, das Puccinis Oper nun einmal ist, nicht verträgt. Manon bleibt in jeder Phase eine kühle Primadonna, ob in gekünstelt aufgebauschter Rokoko-Garderobe von Gesine Völlm, als Geliebte oder in der Gesellschaft des Komponisten. Zu Herzen und unter die Haut geht in dieser Inszenierung nichts.

Leider bleiben auch die musikalischen Eindrücke eher blass. Katrin Kapplusch, mittlerweile eine geachtete Turandot, ist aus der Rolle der Manon herausgewachsen, strahlt die Kühle einer Heroine aus und geizt sowohl darstellerisch als auch stimmlich mit der nötigen lyrischen Wärme. Gaston Rivero als des Grieux verfügt zwar über einen Tenor mit erheblicher Strahlkraft, die sich allerdings erst unter erheblichem Druck einstellt. Ein zartes Legato ist seine Sache nicht. Blass bleibt Heiko Trinsinger als Manons Bruder, die vielen kleinen Nebenrollen sind überwiegend angemessen besetzt. Starke Akzente setzt der von Alexander Eberle einstudierte Chor, und Giacomo Sagripanti lässt die Essener Philharmoniker zwar mächtig aufdröhnen, findet aber auch zu äußerst sensiblen Farben und Zwischentönen, die man auf der Bühne weitgehend vermisst. Ein Dirigat, das ein besseres vokales und szenisches Umfeld verdient hätte.

Insgesamt eine intellektuell überfrachtete und am Stück vorbeizielende Inszenierung auf mittlerem musikalischem Niveau. Das Publikum reagiert gespalten. Das szenische Team muss massive Buh-Tiraden ertragen.

Pedro Obiera

Fotos: Karl Forster