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Fakten zur Aufführung 

IDOMENEO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
29. November 2014
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Katastrophe zum Genießen

Ein schönes Plakat macht derzeit in Essen auf die neueste Produktion am Aalto-Theater aufmerksam. Gewitter und schäumendes Meer weisen auf ein zentrales Thema in Mozarts Idomeneo hin. Das wird zum Auftakt der Inszenierung von Francisco Nagrin genutzt. „Wo ist denn das Orchester?“ fragt eine Zuschauerin irritiert. Das verbirgt sich hinter dem eisernen Feuerschutz, der zwischen Orchestergraben und Bühne nach oben gefahren ist. Kaum ist das Licht im Saal ausgegangen, beginnt es hinter dem Feuerschutz Unheil verheißend zu blitzen und zu donnern. Die Schutzwand fährt herunter und gibt den Blick auf eine zerstörte Landschaft frei. Hier hat es offensichtlich eine Katastrophe gegeben. Die Bühne von Tobias Hoheisel könnte durch einen Sturm verwüstet sein oder durch ein Erdbeben. Ein Graben im Hintergrund könnten Klippen an der Küste sein, die Bodendielen des ehemaligen Parketts liegen wie Treibholz auf dem Boden gemischt mit gestrandeten Trojanern, darunter die Prinzessin Ilia.

Erzählt wird ja eigentlich eine griechische Tragödie im Schatten der großen Sagen Ilias und Odyssee. Idomeneo, der König von Kreta, hat auf der Seite des griechischen Heeres den trojanischen Krieg mitgewonnen. Auf der Rückreise mit den trojanischen Gefangenen gerät er in einen gewaltigen Seesturm. In seiner Not verspricht er dem Meeresgott Neptun – es wird ja auf Italienisch gesungen und daher werden die römischen Götterbezeichnungen verwendet – den ersten Menschen, den er nach seiner Rettung am Strand begegnen würde, als Opfer. Ein verwegener Schwur, der sogleich bestraft wird, denn Idomeneo trifft als erstes auf seinen Sohn Idamante. Doch Gott Neptun besteht auf die Einhaltung des Versprechens und droht der Insel mit neuer Zerstörung.

In Mozarts Dramma per musica laufen verschiedene Existenzfragen zusammen. Fremdbestimmung, Fremdenhass, religiöser Übereifer sind nur ein paar wenige Schlagwörter. Negrin rückt mit seinem Ausstatter Hoheisel die Geschichte aus der mystischen Ferne hinaus in eine zeitlose Gegenwart hinein. Hoheisel gibt den Akteuren Kostüme mit griechischen Anklängen, keine schönen Roben, sondern charakterisierende Anzüge, die Strukturen, Systeme, Stände einer von Krieg und Katastrophen traumatisierten Gesellschaft andeuten. Der Erlebnisbericht einer Essenerin von der Tsunami-Katastrophe im Jahr 2004 im Programmheft verdeutlicht die Absichten des Regieteams. Negrin gelingt es nun über weite Strecken, immer wieder einzufangen, wie die Menschen unter diesen Umständen reagieren. Wie sie sich an Götter, an Staatsformen, an Liebe klammern. Das Ungeheuer, das Neptun im zweiten Akt schickt, um Kreta zu strafen, gibt es indes nicht, sondern wird durch Unwetter und einen gewaltigen Steinschlag ersetzt. Der Gott schreitet, dargestellt durch Michael Breitkreuz, im Bühnenhintergrund umher. Die Projektion von Joan Rodón verwandelt ihn in das personifizierte Wasser. Die Stimmung des Werkes wird optisch sehr gelungen eingefangen – sei es am verwüsteten Strand oder in der Einsamkeit des Schutzbunkers.

In der Personenführung verfolgt Negrin weitgehend Schema F, um die langen Arien szenisch zu beleben. Das und seine teilweise etwas überemotionale Ausarbeitung der Charaktere lähmen den Abend aber leider zunehmend. Die Anfangsstimmung kann nicht über dreieinhalb Stunden gehalten werden. Völlig übertrieben sterben zwei Charaktere den Verdi-Tod: Sowohl Berater Arbace als auch Idomeneo selber müssen lange singend ihr Leben aushauchen. Vor allem beim König selber passt das so gar nicht, denn der Jubelchor, der die Oper beschließt, klingt nach „Heißa, der König ist tot“.

Aber das überhört man ebenso gerne, wie man die szenischen Längen erträgt, denn musikalisch ruft dieser Idomeneo die Erinnerung an alte Zeiten am Aalto-Theater wach. Einige Gastsänger machen mit dem Ensemble den Abend zu einem musikalischen Ereignis. Auf diesem Niveau hört man Mozarts anspruchsvolle Oper nur selten. Der Star des Abends ist sicherlich Julia Kleiter, was angesichts des hervorragenden Ensembles schon eine Leistung für sich ist. Vom ersten Ton an schlägt ihr silbriger Sopran die Zuschauer in ihren Bann. So schön, so obertonreich, so berührend muss die Hoffnung klingen. Michaela Selinger mischt sich mit ihr zu einem harmonischen Liebespaar. Szenisch mag Selinger trotz veriler Sturm-und-Drang-Geste der Hosenrolle nicht ganz gerecht werden. Doch gesanglich ist ihr Idamante eine Offenbarung. Eric Cutler muss seinen Körper zwischen maskuliner Herrschaft und kindlicher Embryostellung hin und her bewegen, was ihn nicht immer vorteilhaft aussehen lässt. Mit seinem gut sitzenden, kräftigen Tenor zeigt er, wie man das sehr viel glaubhafter und eindrucksvoller lösen kann. Perfekt! Simona Šaturová rückt die Elektra weit weg von dem Klischee der gebellten Furie. Ihr eiskaltes Piano macht die Partie zu einem Teil der US-Serie Desperate Housewives und ihre Liebe zu Idamante zu einem egoistischen Gefühl. Wie sie die wenigen Habseligkeiten der trojanischen Rivalin ins Meer wirft und dabei so leise von Liebe singt, geht unter die Haut. Michael Smallwood gestaltet einen eleganten, weisen Arbace. Baurzhan Anderzhanov singt als Stimme des Orakels nur einen Moment lang hinter der Bühne, doch dieser Moment ist umso wichtiger, weil er die erlösende Wende der Oper darstellt. Und wenn Anderzhanov singt, hält das Publikum den Atem an.

Die vielen Chorpassagen der Oper fordern den von Alexander Eberle einstudierten Klangkörper heraus, was der Chor bis auf ganz wenige Schärfen in der Höhe erfolgreich löst.

Vollendet wird das Mozart-Glück durch die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Tomáš Netopil. Situationsbeschreibungen und Sängerbegleitung halten sich die Waage. Die Tempi werden nicht verschleppt, sondern organisch gelebt. Die Philharmoniker klingen dabei so schön und warm, dass jede Winterkälte verdrängt wird. So fühlt sich Heiligabend am Kamin an. Das möchte man nur genießen. Da Arien und Rezitative fast nahtlos ineinander übergehen, wird die Spannung gehalten.

Das Publikum erhält deshalb kaum eine Möglichkeit, eine Arie zu beklatschen. Die Aufführung wird ruhig, fast zu ruhig, verfolgt. Einige lassen sich so sehr berieseln, dass sie einschlafen. In der Pause werden Vergleiche mit Mozarts Figaro angestellt. Nach der Pause bleiben Plätze frei. Und der Schlussapplaus? Gewiss, er ist herzlich, sehr freundlich. Für die Regie gibt es gemäßigten Beifall mit ein paar Bravos und Buhs. Die Sänger ernten zahlreiche Bravo-Rufe. Doch irgendwie hätte dieses Ensemble mehr verdient, viel mehr. Ein Figaro in dieser musikalischen Qualität hätte vermutlich dafür gesorgt, dass das Publikum am Ende auf dem Kopf steht. Aber Idomeneo steht seit jeher im Schatten der späteren Opern Mozarts. Das bleibt wohl auch in Essen so.

Christoph Broermann

Fotos: Bettina Stöß