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Fakten zur Aufführung 

GROßE STIMMEN: THOMAS HAMPSON & LUCA PISARONI
14. Juni 2014
(Einmaliges Konzert)

Philharmonie Essen,
Alfried-Krupp-Saal


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Bariton-Entertainment

Ein alter Chorwitz geht ungefähr so: Bei der Probe sagt der Chorleiter: „Nur die Männer bitte“. Als der Tenor mit den Bässen zusammen einsetzt, winkt der Dirigent ab und sagt: „Ich sagte nur die Männer…!“ 1999 brachte Bariton Thomas Hampson zusammen mit seinem nicht minder berühmten Bass-Kollegen Samuel Ramey beim Label Teldec eine CD mit dem Titel No Tenors allowed – Keine Tenöre erlaubt heraus. Seit knapp zwei Jahren hat sich die tenorfreie Zone von der Silberscheibe zu einem Opernabend ausgedehnt, und Hampson ist nun mit familiärer Begleitung unterwegs. Schwiegersohn Luca Pisaroni erobert derzeit erfolgreich alle großen Bühnen dieser Welt und hinterlässt Begeisterung.

So auch an diesem Abend in Essen. Die Begleitung der beiden Männerstimmen übernimmt die Philharmonie Baden-Baden unter der Leitung vom gut gelaunten Dirigenten Pavel Baleff. So ganz sauber und sicher wirkt deren Spiel nicht immer. Da fransen die Achteln der Ouvertüre zu Le nozze di figaro etwas aus, die Hörner langen auch mal daneben, und einmal stimmt die Koordination mit Hampson so gar nicht. Doch das Entscheidende passt: Der Einsatz. Baleff treibt mit großem, weitem Schlag an, und so steuert das Orchester einige Höhepunkte mit bei und bedient dabei nicht nur Gassenhauer-Klischees. Die Berlioz-Ouvertüre zu Béatrice und Bénédict rattert mit vergnügtem Wahnsinn voran.

Ganz entspannt schubst Pisaroni den Pianisten an seinen Flügel, ein Cherubino-Ersatz, dem Figaro bekanntlich das Non piu andrai ins Ohr schmettert. Das und Leporellos Registerarie sind Pisaronis Paradestücke, auf denen er, wie man so schön sagt, sitzt. Mit so schönen gerollten Rs und so viel Wortwitz hat man Da Pontes Text selten gehört. Für Leporellos Register bringt er sein iPad mit auf die Bühne, zeigt aber darauf keine Bilder von schönen Frauen, sondern von seinen Hunden Lenny und Tristan, die den Sänger auf der ganzen Welt zu seinen Auftritten begleiten. Von einem förmlichen Konzertabend ist keine Spur. Pisaroni geht lieber auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Sein Schwiegervater hält sich ebenso wenig zurück und legt mit dem Hai gia vinta la causa eine Charakterstudie der arroganten Aristokratie vor.

Dass die beiden nicht nur Komödie können, zeigt sich überdeutlich in der großen Szene aus Don Carlos, wo der alte Monarch Filippo und der liberale Rodrigo aufeinander treffen. Im Verbund mit der Philharmonie Baden-Baden entsteht ein Bild der großen dramatischen Oper, ein spannungsgeladener Moment voller Schrecken und Emotionen. Nun ist Pisaroni optisch noch nicht der ideale König von Spanien, aber sein geerdeter Bass-Bariton besitzt dafür die passende bronzene Färbung. So edelmütig Hampson in dieser Szene als Rodrigo auftritt, so fies und zynisch ist im nächsten Augenblick sein Jago. Dabei setzt er seinen Bariton etwas mit zu viel Nachdruck ein, doch der böse Genius der Figur schwebt wie eine schwarze Wolke über dem Publikum. Diese Fähigkeit geht Pisaroni noch ab: Die Serenade des Mephisto aus Gounods Faust klingt bei ihm zu schön, um wahr zu sein, nur eben leider nicht dämonisch genug. Deutlich glaubhafter und technisch noch spektakulärer setzt er seine Stimme für den Assur in Semiramide ein. Wie schön man Patriotismus auf Italienisch schmettern kann, beweist das Duett Souni la tromba und zeigt die beiden Sänger vereint in großer Stimme und Gestik.

Auch die vermeintlich leichte Muse scheuen die beiden großen Opernstars nicht: Hampson zelebriert ganz genüsslich mit melancholischer Ader Lonely Town aus Bernsteins On the town. Pisaroni macht die Liebeserklärung Some enchanted evening aus South Pacific zu einem lyrischen Moment der Schwerelosigkeit – inklusive Sonnenuntergangs-Atmosphäre. Für den Schlusspunkt haben sie sich Donizettis Zungenbrecher-Duett Cheti, cheti, immantinente aufbewahrt. Im halsbrecherischen Parlando hat Pisaroni etwas die Nase gegenüber dem leicht undeutlichen Hampson vorn. Doch das Kabinettstückchen gelingt darstellerisch wie vokal, und das lachende Publikum springt von den Sitzen.

Schon ab der ersten Arie des Programms ist der Applaus mehr als nur begeistert. Oftmals setzt das Klatschen schon ein, bevor der letzte Ton verklungen ist. Am Ende will das Publikum gar nicht mehr gehen, obwohl es schon drei Zugaben bekommen hat. Kein Wunder bei solchen Sängern, die genau den Spagat zwischen Kunst und Entertainment schaffen. Und überdies bedienen sie auch noch das Tenor-Fach: Hampson steigert sich voller Inbrunst in das Komm, Zigan aus Gräfin Mariza hinein, animiert die begeisterten Zuschauer zum rhythmischen Klatschen. Pisaroni zeigt, dass auch ein Bass mit Dein ist mein ganzes Herz die Zuhörer zu Tränen rühren kann, wenn man es denn so einfühlsam singt. Wer braucht da noch einen Tenor?

Christoph Broermann