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Fakten zur Aufführung 

LE GRAND MACABRE
(György Ligeti)
14. Februar 2015
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Drastisch-sensibler Totentanz vom Ende der Welt

György Ligeti hat mit seiner einzigen Oper, Le Grand Macabre, ein äußerst bühnenwirksames Stück geschaffen, das musikalische Substanz, tiefschwarzen Humor, Spielfreude und einen nachdenklich stimmenden Reflexionshorizont so vital und unterhaltsam in sich vereinigt, wie man es von einer modernen Oper nicht gewohnt ist. Das Musiktheater hat Ligeti damit zwar nicht neu entworfen, so dass es in Frieder Reininghaus‘ recht umfassendem Kompendium Experimentelles Musik- und Tanztheater nicht einmal erwähnt wird. Dafür ist es zu Repertoire-Ehren gekommen und ungeachtet seiner hohen musikalischen und szenischen Ansprüche auch von mittleren, erst recht von jedem größeren Opernhaus zu stemmen. Das haben nicht zuletzt die Vereinigten Bühnen Krefeld Mönchengladbach mit einer achtbaren Aufführung vor 15 Jahren bewiesen. Eine Produktion, die die hintergründige Botschaft subtiler vermittelte als etwa die des Staatstheaters Hannover drei Jahre zuvor, die sich den Verlockungen, die Burleske mit überdrehtem Mummenschanz zu überfrachten, nicht verschließen konnte. In Erinnerung haften bleibt die Inszenierung in Brüssel durch das Team La Fura dels Baus, das vor allem überwältigende optische Akzente setzte. Und zwar durch einen bühnenfüllenden nackten Frauenkörper, durch den sich die Figuren wie Maden hindurch wanden und der die Menschen aus ausnahmslos allen Öffnungen auf die Bühne spie.

Solche Sensationen hält die Essener Neuproduktion nicht bereit, kann aber dennoch überzeugen. Und zwar gerade durch die Reduktion auf die Maße eines Kammerspiels, wodurch, im Unterschied zu Brüssel, die Figuren geradezu fokussiert in den Blick rücken und die filigrane Arbeit der französischen Regisseurin Mariame Clément umso deutlicher herausgestellt wird.

Ligetis 1978 in Stockholm uraufgeführte, 1996 stark gekürzte Oper ist die bizarre Fortsetzung und Einlösung von Dürrenmatts These „Uns kommt nur noch die Komödie bei“. Nekrotzar, halb Teufel, halb Schmierenkomödiant, entsteigt der Gruft, um den Weltunter­gang einzuläuten, verpasst den Stichtag jedoch im alkoholisierten Koma. Liebespaare, machtlose Prinzen, korrupte Minister und übereifrige Geheimdienstler bevölkern die Bühne, dazu ein masochistischer Astronom und seine dominante Gattin sowie der Trunkenbold Piet das Fass. Sie alle erwarten das Ende der Welt. Und das lässt auf sich warten, obwohl sich alle Mühe geben, unserem Planeten den Todesstoß zu versetzen.

Die Regisseurin berücksichtigt, dass die Vorlage zu diesem burlesken Totentanz „aus dem Breughelland“, Michel Ghelderodes Schauspiel La Balade de Grand Macabre, im Sog des Dritten Reichs entstanden ist und die derben, obszönen, überdrehten Elemente bei aller Komik niemals ihren bedrohlichen Beigeschmack verlieren sollten. Nur selten versteigt sie sich zu lärmendem Klamauk, und für die sexuellen Derbheiten des Librettos findet sie grelle und gleichwohl dezente Lösungen. Etwa, wenn das realitätsverlorene Liebespaar Amando und Amanda in silberner Rokoko-Pracht dem Rosenkavalier entsprungen zu sein scheinen und Amanda lieber zum freigelegten Gemächte ihres Geliebten greift als zu der silbernen Rose. Oder wenn die sadistische Mescalina, die laut Libretto mit Peitsche und Spinne ihren masochistischen Astradamors piesakt, ihren Schoß öffnet, der sich als Spinne entpuppt. Das sitzt.

Anspielungen an die abendländische Kunst werden reihenweise eingeflochten. Die Venus entsteigt einer Muschel wie aus Botticellis Gemälde, und die Schläge der Turmuhr, die den Menschen den vermeintlichen Weltuntergang ankündigt, sind eingebettet in ein Klima, wie wir es aus der Wolfsschlucht im Freischütz kennen.

Pfiffig, aber ebenfalls fein dosiert, streut Clément aktuelle Bezüge ein. Wenn etwas der macht- und hilflose Fürst Go-Go wie ein aufgeblasener amerikanischer Präsident im Weißen Haus thront und sich von kindischen Raufereien seiner Minister nerven lassen muss. Hier schrammt die Inszenierung haarscharf am Klamauk vorbei. Aber nur ganz kurz. Der große Wurf gelingt ihr mit dem letzten Bild, in dem die Handlung zum Stillstand gebracht wird. Man wartet und nichts geschieht. In hyperaktiven Inszenierungen, Brüssel inklusive, führt die szenische „Notbremse“ zu einem eklatanten Spannungseinbruch. In Essen dagegen wird die Spannungsschraube angezogen. Dafür hält sich auch die Bühnenbildnerin Julia Hansen zurück und arbeitet mit feinen Lichteffekten und stärker mit Versatzstücken als mit großen Bildern. Allerdings gelingt es auch diesem szenischen Team nicht, Theaterzauber und die beklemmende Drohgebärde des Stücks in ein ideales Gleichgewicht zu bringen. Die apokalyptische Faust, die über dem Stück schwebt, ist nicht immer spürbar.

Die ungebrochene Vitalität des fast 50 Jahre alten Stücks scheint das Ensemble der Essener Oper zu elektrisieren, und alle geben ihr Bestes. Musikalisch hat das Werk schließlich auch eine Menge zu bieten.

Jede Figur erhält ein scharf und drastisch umrissenes Profil, dem Ligeti mit unerschöpflicher Fantasie meisterhafte und in jedem Takt blutvolle und originelle Konturen verleiht. Von der mechanischen Toccata mit blökenden Autohupen über sensualistisch verführerische Klänge und einer beklemmend dicht gestrickten Passacaglia über ein Thema aus Beethovens Eroica bis hin zu apokalyptischen Eruptionen erschließt sich ein Kaleidoskop avantgardistischer Stile, die weniger von kopflastigen kompositorischen Strukturen geprägt werden als von dem überwältigenden Bühneninstinkt des ungarischen Meisters. Und Dima Slobodeniouk am Pult der Essener Philharmoniker entfaltet die virtuos gestrickte Partitur mit bestechender Präzision und überrumpelnder Spiellaune. Vorzüglich gelingen in diesem Umfeld sogar die extrem komplexen Ensembles, und die hauseigenen Sänger der vielen Partien bleiben auch den kniffligsten Anforderungen nichts schuldig.

Ursula Hesse von den Steinen als dominante Mescalina oder Susanne Elmark in gleich mehreren, abenteuerlich hoch exponierten Rollen markieren Höhepunkte, gegen die es ausgerechnet die beiden männlichen Hauptrollen mit Heiko Trinsinger als Nekrotzar und Rainer Maria Röhr nicht leicht haben, sich adäquat zu profilieren. Gleichwohl verdient nahezu jeder Sänger eine Erwähnung. Ob Jake Arditti mit seinem Countertenor als Fürst Go-Go oder Tijl Faveyts als Astradamors, der sich nur schwer gegen seine böse Gattin durchsetzen kann. Anrührend das Liebespaar mit Elizabeth Cragg als Amanda und Karin Strobos als Amando. Fazit: eine glänzende Ensembleleistung.

Das Publikum verfolgt das Treiben mit hörbarem Vergnügen. Auch wenn nach der Pause mancher Platz leer bleibt, reagiert das Premieren-Publikum im vollbesetzen Aalto Theater mit überschwänglicher Begeisterung. Ob angesichts der knapp zweistündigen Spieldauer eine Pause nötig ist, mag vielleicht bühnentechnisch von Nöten sein. Die Stringenz der Aufführung wird doch arg gestört. Schließlich hat Ligeti das Werk für die Salzburger Aufführung 1996 stark gekürzt, um den dramaturgischen Sog des Werks nicht zu stören.

Pedro Obiera

Fotos: Matthias Jung