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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
15. Juni 2014
(Premiere am 27. Januar 2007)

Aalto-Theater Essen


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Seelenfänger in der Kathedrale

Stefan Herheims Deutung von Mozarts Meisterwerk gehört eigentlich zu den Schmuckstücken am Aalto Theater Essen. Seit ihrer Premiere im Jahr 2007 erfreut sich die Inszenierung großer Beliebtheit und kann auch zur Wiederaufnahme ein Jahr später mit leicht veränderter Besetzung überzeugen. Der Erfolg der Inszenierung liegt im veränderten Ausgangspunkt. Er geht an das Thema Liebe und Sexualität aus Sicht der – katholischen? – Kirche heran. Die Verführung von Seelen steht im Mittelpunkt. Bei Herheim kann das sowohl religiös wie auch sexuell gedeutet werden. Leporello als Angestellter des Klerus ist dank einer dunklen Schattenseite, dem Bild des Heiligen Johannes – Don Giovanni – entsprungen, mit seinen eigenen Schwächen konfrontiert und bringt gleichzeitig das Leben der anderen Protagonisten, die selbst auf der Suche nach ihrem Seelenheil sind, gewaltig in Unordnung. Herheims Inszenierung greift über zeitliche Ebenen hinaus. Eine kleine Donna Anna wird in den Beichtstuhl gezogen, eine erwachsene Frau kommt traumatisiert wieder heraus und muss den Mord an ihrem Vater beobachten – oder ist das doch nur Erinnerung? Wirklich gelungen an Herheims Regie ist, dass es nicht nur eine mögliche Deutung gibt. Dazu wird sie mit viel Witz und Ironie so wohl dem Giocoso als auch dem Drama gerecht. Es ist erstaunlich, wie gut sich die Handlung in die Kirche transportieren lässt, ohne dass der Stoff großartig umgedeutet würde. So ist natürlich das Register von Leporellos Herren, den er immer so gerne verlassen würde, nichts anderes als das Evangelium. Freilich ist bei Herheim nicht alles so, wie es in Mozarts und DaPontes Schrift geschrieben steht. Da verschiebt er schon einiges in den Rezitativen, um der Aussage nachzuhelfen.

Was wäre Herheims Deutung ohne das Bühnenbild von Thomas Schuster. Wie die riesige Kathedrale mit ihren Statuen und Säulen zum Leben erwacht ist auch bei mehrmaligem Anschauen ein Ereignis. Jürgen Nase gibt ihr vielseitigen Glanz. Mal grelles Licht, dann wieder düster schattiert. Doch in der Wiederaufnahme, die von Sascha Krohn betreut wird, läuft das komplexe Räderwerk, in dem Bühne und Personen ineinandergreifen sollen, nicht rund. Die als Mönche verkleideten Bühnentechniker haben alle Hände voll zu tun. Besonders das Timing auf der Bühne, wann sich wie was wohin verschiebt, lässt deutlich zu wünschen übrig. Auch von den zahlreichen Statisten hinterlassen einige den Eindruck, wie bestellt und nicht abgeholt zu sein. Ratlose Blicke rechts und links sind leider keine Seltenheit.

Für die überwiegend neu besetzten Rollen ist die Inszenierung auch eine Herausforderung. Sehr erfahren darin sind Heiko Trinsinger in der Titelrolle und Almas Svilpa als Leporello. Svilpa ist seit der Premiere dabei und dürfte kaum zu ersetzen sein. Beeindruckend ist, wie er seine Heldenfach-erprobte Stimme wieder auf einen schlanken Mozart zurückführt. Trinsinger ist nach wie vor mit robustem, variablem Bariton ein zupackender Seelenfänger, der viel Schwung auf die Bühne bringt. Alle anderen Rollen sind neu besetzt, und selbst wenn man in der Beurteilung differenzieren kann, ist es um das Essener Ensemble alles andere als schlecht bestellt. Simona Šaturová ist eine wunderschön auf Linie singende Donna Anna. Keine Schärfen trüben ihren Gesang. Ein wenig mangelt es ihr noch an emotionaler Ausdruckskraft. Damit kann die leuchtend und intensiv aufsingende Judith van Wanroij mühelos aufwarten. Ihr Mi tradi ist ein Höhepunkt der Aufführung. Michael Smallwood fehlt in seiner angenehm lyrischen Stimme mit dem langen Atem etwas an einer soliden Körperstütze. Sein Don Ottavio klingt zum Ende hin in der Höhe etwas eng.

Karin Strobos und Martijn Cornet haben die schwere Aufgabe, von Helen Donath und Marcel Rosca die in dieser Inszenierung deutlich gealterten Zerlina und Masetto zu übernehmen. Darstellerisch reichen sie nicht an deren so natürliche Bewegungen heran. Auch vokal bleibt Strobos der Zerlina ein bisschen Glanz schuldig, singt aber insgesamt sehr ordentlich. Martijn Cornet hingegen ist mit energischem Bariton für den Masetto schon fast eine Nummer zu groß! Doch die wohl beste Leistung des Abends kommt ausgerechnet von der kürzesten Rolle. Tijl Faveyts findet für den Komtur genau die richtige Mischung aus Wohlklang und machtvollem Bass, die in der Finalszene für Gänsehaut sorgt.

Leider bekommt dieser – und nicht nur dieser – Moment viel zu wenig Unterstützung vom Pult. Tomáš Netopil dirigiert die so Mozart versierten Essener Philharmoniker. Am Klang gibt es nichts zu meckern. Schöner können auch die Wiener Philharmoniker diese Partitur nicht. Die präzisen Streicher und die warmen Holzbläser laden zum Schwelgen ein. Doch Schönheit reicht für einen Don Giovanni einfach nicht aus. Da fehlt es an Akzenten, an Feuer und Leidenschaft. Die beiden Finali werden in ihrer Dramatik glatt verschenkt. Ganz souverän wie immer absolviert der von Alexander Eberle einstudierte Chor seinen kurzen Part.

Das Publikum hat hörbar seine Freude an dieser Inszenierung und staunt zwar nicht immer geräuschlos, aber doch respektvoll. Beim Schlussapplaus wird das Ensemble schön enthusiastisch und differenziert gefeiert. Mozart ist und bleibt der Gewinner in Essen.

Christoph Broermann

Fotos: Karl Forster