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Fakten zur Aufführung 

DER RING DES NIBELUNGEN
(Richard Wagner)
1. bis 3. August 2014
(Premiere am 18. bis 26. Juli 2014)

Tiroler Festspiele Erl


Points of Honor                      

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Mit radelnden Walküren ins Wagner-Delirium

Vier kleine Kinder setzen sich zum Finale vorne hin an den Bühnenrand und beginnen ganz unschuldig zu spielen, nachdem die Welt rundherum zusammengekracht ist: Ein starkes, hoffnungsvolles Zukunftssymbol, ein kleiner Silberstreifen am Horizont, der uns da gezeigt wird. Wie überhaupt der künstlerische Leiter der Tiroler Festspiele Erl, Gustav Kuhn, wie meist bei seinen Dirigaten, so auch diesmal, sein eigener Regisseur, bei der heurigen Neuadaptierung seiner Inszenierung des Rings des Nibelungen von Richard Wagner auf eine einfache, symbol- und ideenreiche Inszenierung setzt: So schwebt etwa beinahe omnipräsent Wotans Speer über den Köpfen der Protagonisten. Die Rheintöchter erscheinen auf kleinen, fahrenden Leitertürmen. Das Rheingold selbst schwebt etwas mickrig als kleiner Klumpen herunter. Für das Reich der Götter reichen Liegestühle und Sonnenschirme, wo sich die Überirdischen bequem und liegend aufhalten können. Nur beim finalen Schreiten der Götter nach Walhall passiert gar nichts. In der Walküre sieht man einen grauen, trostlosen Raum. Die Walküren selbst düsen darin mit Fahrrädern wild auf der Bühne herum. Beim Feuerzauber, wie auch sonst immer wieder, erlebt man viel offenes Feuer und sechs junge, geschmackvoll in rote Abendkleider gesteckte Harfenistinnen, die ganz vorne spielen. Etwas lächerlich die Horror-Tiere, wie etwa der große Wurm, vor dem man sich fürchten sollte, oder Fafner im Siegfried als rot beleuchteter Drachenkopf. Zum Finale der Götterdämmerung passiert nicht viel, es wird nur offenes Feuer in Schalen hereingebracht. Die Bühne stammt in allen Teilen von Jan Hax Halama, die geschmackvollen, heutigen Kostüme von lena Radecky.

Und das alles passiert in sparsamsten Kulissen, ohne irgendwelche, technischen Mätzchen und auch ohne Projektionen, über die das alte Passionshaus in Erl einfach nicht verfügt. Aber wie man sieht, kann man durch Konzentration der Personenführung auf das Wesentliche durchaus auch mit einfachen Mitteln, wenigen Versatzstücken, einem geschickten, suggestiven Lichteinsatz und ganz ohne Firlefanz starke Wirkungen erzielen. Die stets aktuelle Geschichte von Macht, Geld und Liebe wird immer klar und schlüssig erzählt.

Mehrfach besetzt sind die Sänger, und sie zeigen hohe qualitätsvolle Leistungen: Nobel und edel klingt der Bariton von Michael Kupfer als Rheingold-Wotan und Gunter, elegant mit Anzug und gegelten Haaren. Hermine Haselböck ist keine launische Göttergattin, sondern eine souverän singende und spielende Frau in toller Robe. Elena Suvorova ist eine sehr präsente Erda. Giorgio Valenta ist ein gequälter Mime. Schön phrasierend erlebt man Joo-Anne Bitter als Freia. Die Riesen, Franz Hawlata als Fasolt und Andrea Silvestrelli als Fafner, singen voluminös und sind als Football-Spieler oder als Eishockeytormann mit vielen Werbebannern der Sponsoren darauf als Gag ausstaffiert. Passabel hört man Frederik Baldus als kugelstoßenden Donner sowie mit schönem Tenor Ferdinand von Bothmer als golfender Froh. Makellos singen die Rheintöcher mit Yukiko Aragaki, Michiko Watanabe und Misaki Ono. Johannes Chum ist ein ausgesprochen schönstimmiger Loge im schicken Manager-Anzug und rollengemäß mit knallroten Schuhen, Krawatte und Stecktuch ausgestattet. Thomas Gazheli liefert als sehr exzessiver Alberich und Wanderer tolle Charakterstudien ab. Andrew Sritheran als fescher Siegmund ist mit sehr schöner Stimme ein Versprechen für die Zukunft. Marianna Szivkova ist eine gute Sieglinde, etwas scharf im oberen Register. Vladimir Baykov ist ein prägnanter Walküren-Wotan, Raphael Sigling ein bösartiger, markiger Hunding. Der etwas derbe, aber extrem voluminöse Andrea Silvestrelli ist als Fafner und Hagen im Dauereinsatz. Hingegen kann Bettine Kempp als ziemlich unverständliche und wenig präsente Walküren-Brünnhilde nicht wirklich überzeugen. Ohne Furcht und Tadel sind alle Walküren. Strahlend und durchschlagskräftig sind die Brünnhilden Nancy Weißbach aus Siegfried und Mona Somm aus Götterdämmerung. Wenig Profil zeigen hingegen beide Siegfrieds: Michael Baba und Gianluca Zampieri.

Hellwach auf der Bühne und das trotz der Absolvierung des Rings in nur 24 Stunden: Das Orchester der Festspiele, das mangels vorhandenen Grabens im Passionshaus Erl hinter der eigentlichen Spielfläche steil ansteigend wie auf einem magisch beleuchteten Orchesterberg situiert ist, und ein Gustav Kuhn, der sich nach dem Siegfried dreimal tief respektvoll vor den auffallend jungen Musikern verneigt. Sie leisten unter seinem Dirigat wirklich Außergewöhnliches. Leichte Mängel sind sicher auf Müdigkeit und fehlende Konzentration zurückzuführen, denn schließlich spielt man den Siegfried gleich 1 ½ Stunden nach der Walküre beinahe bis vier Uhr früh und startet um 11 Uhr schon wieder mit der Götterdämmerung. Mit Verve und Spannung wird da musiziert, und bei den vielen Orchesterzwischenspielen, wie etwa dem populären Walkürenritt und dem genialen Trauermarsch, mit einem Klangrausch aufgetrumpft. Unter Kuhns Stabführung erklingt auch viel Magisches und Mystisches. Geheimnisvoll sind die Klänge aus den Tiefen des Rheins, zuerst aus dem Nichts, bis sie immer mehr zu leuchten beginnen. Nur fallweise hätte man sich stärkere Akzente gewünscht. Trotzdem vernimmt man reiche Nuancen, wie feine Piani, aber auch packende Steigerungen und Ausbrüche. Und dabei bleibt man immer nur so laut, dass die Sänger nicht zugedeckt werden.

Im Freien stehen überall stehen Unmengen hellgrüner Liegestühle vor dem Passionshaus, in der Farbe und mit dem Logo der Tiroler Festspiele Erl. Sie werden vom Publikum auch eifrig in den Pausen genutzt, ebenso wie die groß aufgezogene Gastronomie. Denn schließlich gilt auch beim Publikum, den Ring des Nibelungen ohne Rheingold, das schon, wie auch vom Meister selbst so benannt, am Vorabend über die Bühne geht, in 24 Stunden zu überstehen: Ein Kraftakt für alle!

Während der Walküre werden eigens Pferde auf die benachbarte Weide geführt. Passend zum Siegfried, der zu beinahe mitternächtlicher Stunde beginnt, und bei dem der Titelheld im Passionshaus singend sein Wunderschwert Notung schmiedet, kann in den Pausen draußen das Publikum einem Schmied beim Behämmern eines glühenden Schwertes zusehen.

Im völlig ausverkauften Haus selbst erlebt man ein erstaunlich waches Publikum, auch weit nach Mitternacht, dessen Reihen sich auch in den Pausen kaum lichten, bewaffnet mit Polstern und Getränken. Aber Dösen ist auf Grund der harten Holzbänke des Passionshauses ohnedies kaum angesagt.

Irgendwie ist man dann aber doch wie in Trance, als der lange, jubelnde Schlussapplaus um 16 Uhr erklingt. Gewidmet war dieser gewaltige Kraftakt dem Präsidenten und Mäzen des Festivals Hans Peter Haselsteiner zum 70. Geburtstag, der sich darüber sichtlich freut. Zum finalen Applaus auf die Bühne geholt, macht er vor dem Orchester einen tiefen Kniefall.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Franz Neumayr