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Fakten zur Aufführung 

EL JUEZ - DER RICHTER
(Christian Kolonovits)
9. August 2014
(Premiere)

Tiroler Festspiele Erl


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Düsteres vom Startenor

Man erinnert sich gerne noch seiner sängerischen Sternstunden weltweit auf Opern- und Konzertbühnen. Man erinnert sich noch gerne an sein unverwechselbares Timbre, dass jeden Opernliebhaber so fasziniert hat. Nach seiner Leukämieerkrankung ist es um José Carreras stiller geworden. Nach acht Jahren Pause, in denen er nur bei Liederabenden und Shows auftrat, zeigt sich der charismatische Sänger jetzt wieder auf der Opernbühne mit der Uraufführung einer auf seine stimmliche Fähigkeiten maßgeschneiderten Oper, deren Voraufführung bereits im April in Bilbao stattfand: El JuezDer Richter.

„Herz, du kommst nicht mehr zur Ruh und der liebe Gott schaut zu“: Es sind kleine Kinder mit großen, angstvollen Augen, die dieses traurige Lied allein und verlassen im Festspielhaus in Erl in einer riesigen Videoprojektion singen. Sie erinnern damit an ihr schreckliches, tatsächlich dokumentiertes Schicksal der „gestohlenen Kindern“ während der Franco Diktatur, zwischen 1939 und 1975 in Spanien. Tausende Kinder von nicht regimetreuen Eltern wurden damals diesen von Nonnen und Ärzten entrissen und in Klöster und andere Einrichtungen zur „Umerziehung“ aus politischen Gründen abgeschoben, wobei den Eltern erklärt wurde, ihre Kinder seien bei der Geburt gestorben.

Der spanische Regisseur Emilio Sagi zeigt den düsteren Plot jetzt als eigentlich deklarierte Welturaufführung, sehr detailfreudig und anrührend. Vor und hinter kalten, hochziehbaren Eisengittern, die das Klaustrophobien erzeugende Kloster symbolisieren sollen, die Bühne stammt von Daniel Bianco, die Kostüme von Pepa Ojanguren, wird mit wenigen Versatzstücken in düsteren Lichtstimmungen eine spannende Atmosphäre erzeugt. Vor allem der zweite Teil gewinnt an Dynamik und Dramatik durch die aufregend inszenierten Konfrontationen der Äbtissin mit Morales und dem Richter, bei denen die Wahrheit Stück für Stück ans Tageslicht kommen.

Das ansprechende und tiefgründige Libretto stammt von Angelika Messner und wurde ins Spanische übersetzt. Dazu schuf Christian Kolonovits, bisher hauptsächlich bekannt als Arrangeur, Musikproduzent und Komponist von Film- und Popmusik sowie der Kinderoper Antonia und Reißteufel 2009, die an der Wiener Volksoper immer noch mit Erfolg aufgeführt wird, eine sehr gefällige, wenig innovative, völlig tonale Musik mit angenehmem Klangbild, bei der sich der bekannte österreichische Komponist aller nur erdenklicher Musikstile bedient. Puccini und Menotti lassen ebenso grüßen wie Anklänge aus Pop, Rock und Jazz, irgendwie kommt einem alles bekannt und schon einmal gehört vor. Die teils auch sehr süßliche und pathetische Musik klingt eher nach Musical denn nach Oper. Neben einigen sehr kantablen Ariosi durchaus mit Ohrwurmcharakter erlebt man viele Rezitative mit etwas seicht dahinplätschernder Musik, aber auch einige packende Momente. Das Orchester der Tiroler Festspiele unter dem Carreras-Neffen David Giménez gibt sie ambitioniert und spielfreudig wieder.

Im Fokus des öffentlichen Interesses steht aber weniger das Werk als vielmehr die Besetzung mit José Carreras in der Titelpartie. Für ihn hat Kolonovits den Gesangspart des Richters Federico Ribas, selbst auch so ein verlorenes Kind und im Kloster als „Waisenkind“ aufgezogen, haargenau für seine Tessitura komponiert: Obwohl der charismatische Sänger sehr zerbrechlich wirkt und gewisse stimmliche Schwächen nicht kaschiert werden können, verfügt er immer noch über große Präsenz und kann die Zerrissenheit und den Gewissenskampf, selbst als Teil des Systems mitgeholfen zu haben, die Verschleppungen zu decken, auch stimmlich emotional intensiv darstellen. Vor allem sein inniger Schlussgesang berührt sehr.

Carlo Colombara verkörpert auch stimmlich profund mit schwarzem Bass die Rolle des „bösen“ Morales, Führer der ultrarechten Bewegung, eine Art spanischer Scarpia mit großer dämonischer Bühnenpräsenz. José Luis Sola ist Alberto, wie sich später herauskristallisiert, der Bruder des Richters. Er singt mit sehr hellem, aber zu leichtem Tenor. Sabina Puértolas ist die höhensichere, attraktive Paula, jene Journalistin, die die Geschichte der gestohlenen Kinder recherchiert und sich in Alberto verliebt. Sehr voluminös sind Ana Ibarra als Äbtissin und Milagros Martin als alte Frau zu hören. Solide singt Manel Esteve den Kameramann Paco. Auch die kleineren Rollen sind alle adäquat besetzt.

Stehende Ovationen im ausverkauften Festspielhaus von Erl, der natürlich in erster Linie von seinen vielen angereisten Fans ihrem Idol Carreras gilt.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Kupfer Media