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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
27. Dezember 2014
(Premiere)

Tiroler Festspiele Erl


Points of Honor                      

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Freiheitsdrama undercover

Mit dem großen Freiheitsdrama Fidelio steht die zweite Opernpremiere der diesjährigen Tiroler Festspiele im ausverkauften Festspielhaus auf dem Programm. Mit Spannung wird das Regiedebüt des deutschen Bildhauers Alexander Polzin erwartet, der bereits mehrfach als Bühnenbildner Theatererfahrung gesammelt hat. In seiner erfolgreichen künstlerischen Tätigkeit konzentriert er sich auf die Schöpfung großformatiger Skulpturen im öffentlichen Raum, in denen er mit Sinn und Philosophie in seiner Aussage ringt. Viel Sinn und Aussage steckt in der einzigen Oper, die Ludwig van Beethoven im harten Ringen mit sich und seinem musikalischen Genie schuf. Beispielhaft verarbeitete er die politische und soziale Auseinandersetzung seiner Zeit um Unterdrückung, Machtstreben und Hilfsbedürftigkeit. Er setzte dem Kampf um Freiheit, der heldenhaften Kraft der Liebe und dem Sieg des Guten über das Böse ein unvergängliches musikalisches Denkmal.

Mit Denkmälern hat auch Alexander Polzin Erfahrung, und denkmalhaft konzentriert er seine Bühnengestaltung und Regie um eine Skulptur, ein Etwas in der Form eines verfremdeten riesigen Totenkopfes. Kantenlos, mit Graffiti versetzt, im warmen Braunton gehalten, erscheint diese Schöpfung Symbolkraft für Unterdrückung und Opfer von skrupellosen Diktaturen, Tod und Vergänglichkeit und in den geschlossenen Lippen für das Verbot der Redefreiheit zu besitzen. Wir befinden uns in keinem Gefängnis, das Ambiente wirkt wie ein Arbeitslager, in dem Gefangene und Wärter miteinander leben. Die bemitleidenswerten Opfer stecken in Lumpen, ihre Bewegungsfreiheit wird durch zwangsjackenartige Überhemden oder Netze eingeengt. Rocco und Jacquino stolzieren im hellgrünen, maohaften Anzug herum, Leonore darf noch einen transparenten Arbeitskittel überziehen. Marzelline wirkt unschuldig fremd in ihrem blauen Sonntagskleid. Die Kostüme wurden von Wojciech Dziedzic entworfen. Alexander Polzin lässt das Werk in seiner Interpretation wie eine Erzählung, wie eine griechische Tragödie erscheinen. Der Vorhang wird von zwei Gefangenen geöffnet, die Bühne ist mit einem riesigen hellen Stück Stoff bedeckt, unter dem die Konturen von Personen und Gegenständen erkennbar sind. Langsam wird der Schleier von der Bühne gezogen und die Handlung beginnt.

Ständig wird der Totenkopf auf der sonst leeren und dunkel ausgeleuchteten Bühne gedreht, geschoben, und auch im hohlen Innenraum wird gespielt. Insbesondere entpuppt sich dieser im zweiten Akt als schauerliche Zelle des inhaftierten Florestan. Die Personenführung bleibt statisch einfallslos, es entsteht wenig Handlung, lustlos erscheinen der Konflikt und die Auseinandersetzung damit. Der Höhepunkt, der Triumph der Heldin und die Befreiung Ihres Gatten, verschwindet im Dunkeln, die Liebe, die Liebenden werden vom kraftvoll singenden und spielenden Chor unterdrückt. Am Ende kommt das große Leintuch zurück und lässt alle Handelnden darunter verschwinden. Die Hoffnung auf eine bessere Welt erstickt.

Mehr Hoffnung und Epos lässt Gustav Kuhn im Orchestergraben entstehen. Hier wird der Kampf gegen die Unterdrückung und das Streben nach Freiheit gelebt. Er führt das sehr großdimensionierte, junge Orchester der Tiroler Festspiele generalstabsmäßig strategisch denkend, aufmerksam kameradschaftlich zur Höchstform. Wahrlich triumphal wird der Sieg gefeiert. Wirkt die Ouvertüre noch verhalten, kommen Emotionen und Siegestaumel in Spiel der eingefügten dritten Leonoren-Ouvertüre vor dem Finale zum Ausbruch. Vom zartesten, nur mehr gehauchten Pianissimo bis zum kraftvollen Fortissimo gelingt den Musikern eine Sternstunde.

Die Leistungen der Sänger sind unterschiedlich. Bettine Kampp als Leonore ist unverständlich, projiziert kraftvoll in der Höhe und sackt in der Mittellage und Tiefe ab. Deutlich und heldenhaft George Vincent Humphrey als Florestan. Thomas Gazheli ist ein hysterisch schmetternder Don Pizzarro mit Verrenkungen. Jens Waldig findet als Rocco eine lyrische Grundstimmung, Giorgio Valenta bleibt als Jacquino farblos, ebenso Paola Leggeri als Marzellina. Überzeugend wiederum Michael Kupfer als Minister.

Begeistert jubelt das Premierenpublikum Gustav Kuhn und seinem Orchester zu, differenzierter werden die Sänger bedacht, für das Regieteam gibt es heftige Buhs, die ansatzweise von Bravo-Rufen übertönt werden.

Helmut Pitsch

 

Fotos: APA Fotoservice