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Fakten zur Aufführung 

SIGURD
(Ernest Reyer)
7. März 2015
(Premiere am 30. Januar 2015)

Theater Erfurt


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Die Nibelungen à la française

Im Theater Erfurt steht jede Saison unter einem besonderen Motto. In der aktuellen Spielzeit heißt es Geliebter Feind, und es beleuchtet die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Das klug konzipierte Programm bietet neben Repertoiresäulen wie Faust, Andrea Chenier und Pariser Leben zwei ausgefallene Musiktheaterwerke: zum einen die Uraufführung von Das schwarze Blut des französischen Komponisten François Fayt, in der es um Ereignisse in einer bretonischen Hafenstadt während des ersten Weltkriegs geht, zum anderen die deutsche Premiere von Ernest Reyers Sigurd.

Der 1823 in Marseille geborene Reyer machte sich hauptsächlich mit Vokalwerken, einige davon orientalisch inspiriert, einen Namen. Zu seinen Vorbildern gehörten klassizistische Tonschöpfer wie Gluck, Spontini, Berlioz, auch Weber. Wagnerianer aber war er nicht, auch wenn seine Nibelungenoper Sigurd das nahelegt, die Parallelen zur Götterdämmerung aufweist. Denn mit der Komposition begann Reyer schon Mitte der 1860-er Jahre, also etwa zeitgleich zu Wagner, erst 1884 fand die Brüsseler Uraufführung statt. Der Vierakter spielt in Worms: Hilda, bei Wagner Kriemhild, verabreicht Sigurd vulgo Siegfried einen Liebestrank, um ihn zu gewinnen. Gemeinsam mit ihrem Bruder Gunther bricht er nach Island auf, um die dorthin verbannte Brunehild, die wir von Wagner als Brünnhilde kennen, in der Maske des Freundes für ihn zu erobern. Es folgt die Doppelhochzeit in Worms, Hildas Verrat, dass Brunehild von Sigurd und nicht von Gunther befreit wurde, und Sigurds und Brunehilds gemeinsamer Tod, gipfelnd in einer Apotheose.
Eine Inszenierung des Vierakters ist dem Aufwand und den musikalischen Anforderungen nach eine Großtat, die das Erfurter Theater bei Bündelung aller Kräfte glänzend erfüllt. Hausherr Guy Montavon bedient sich der schon oft  bewährten Idee, die Handlung als Wahnvorstellung der Heldin ablaufen zu lassen. In Sigurd ist es die durch Kriegsgräuel traumatisierte Hilda. Sie ist ans Krankenbett gefesselt, wird von einer Pflegerin – im Original die Amme Uta – umsorgt und träumt sich in die Sagenwelt der Germanen hinein. Die Szenerie von Maurizio Balò zeigt ein zerstörtes Worms kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Man sieht Trümmerfrauen und heimkehrende Soldaten, im Hintergrund Ruinen. Allmählich weicht die Realität dem Wahn. Die Bühne wandelt sich unmerklich, Chor und Solisten treten nun in mittelalterlichen Kostümen auf, die Frauke Langer mit Stilkenntnis und Liebe zum Detail entworfen hat. Beim Szenenwechsel wird die vereiste Gletscherlandschaft Islands sichtbar, davor die schlafende Brunehilde in einem goldenen Nachen. Diese Szene ist optisch besonders effektvoll und wird nur noch vom Finale übertroffen. Da nämlich ersticht sich Hilda inmitten des Volkes, während gleichzeitig Schwert und Kopf des Detmolder Hermann-Denkmals in Übergröße vom Schnürboden herunterfahren, oben auf dem Helm das Paar – ein geschichtsträchtiges  Bild mit Symbolcharakter, kurzum: ein Appell gegen jeden Krieg und seine Auswirkungen.

Außerordentliches Niveau ist der musikalischen Darbietung zu bescheinigen. Die junge Dirigentin Joana Mallwitz agiert mit höchster Konzentration und ungemein beredter Zeichengebung. Da sitzt jeder Einsatz, wird Reyers Partitur mit ungeheurer Innenspannung aufgeladen, entfalten sich die melodischen Bögen ganz organisch, und die Sänger erhalten aufmerksamste Begleitung. Kein Wunder, dass sich das Orchester bei dieser Anleitung zu absoluter Höchstleistung animiert fühlt. Gleiches gilt für den von Andreas Ketelhut bestens vorbereiteten, durch Mitglieder des Philharmonischen Chores verstärkten Opernchor.

Marc Heller ist ein imposanter Sigurd. Sein Tenor bewältigt die anspruchsvolle Partie mit ihrer unbequemen hohen Lage ohne Ermüdungserscheinungen, hat die dramatische Kraft für die exponierten Höhen und ebenso lyrische Flexibilität. In bestechender stimmlicher Verfassung singt Ilia Papandreou hingebungsvoll und mit leuchtenden Spitzentönen eine strahlende Brunehild. Marisca Mulder als Hilda behauptet sich durch darstellerische Intensität und vehementen vokalen Einsatz. Zu beiden gesellt sich mit ausdrucksstarkem Mezzosopran die vorzügliche Katja Bildt als Amme. Die tiefen Männerstimmen sind mit Kartal Karagedik, Vazgen Ghazaryan und Máté Sólyom-Nagy absolut gleichwertig besetzt.

Das Publikum reagiert mit großer Begeisterung und vielen Bravos. Nach dieser vierten Vorstellung ist nur noch eine weitere angesetzt. Die aber sollte sich kein Opernfreund entgehen lassen. Sigurd ist eindeutig eine Reise wert.

Karin Coper

Fotos: Lutz Edelhoff