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Fakten zur Aufführung 

b.22
(Young Soon Hue, Marco Goecke, Amanda Miller)
8. Mai 2015
(Premiere)

Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Theater Duisburg


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Einsamkeit, Flatterhände und bunte Röckchen

Drei Uraufführungen, drei Choreografen, drei individuelle Handschriften, die nur eins verbindet: Kreative Originalität, handwerkliche Perfektion und eine präzise Umsetzung durch die Compagnie der Deutschen Oper am Rhein. Für die drei Uraufführungen seines 24. Programms b.24 überlässt Ballettdirektor Martin Schläpfer die Bühne des Theaters Duisburg drei bekannten Gast-Choreographen, die mit ihren denkbar unterschiedlichen Arbeiten einen anschaulichen Beweis für die pulsierende Vitalität unserer Tanzlandschaft liefern. Auf dem Weg zur Kultfigur bewegt sich derzeit Marco Goecke, Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts. Mit seiner Arbeit Lonesome George debütiert er jetzt an der Deutschen Oper am Rhein und das mit grandiosem Erfolg. Der auf eine extrem langsame Galapogos-Schildkröte verweisende Titel steht in grellem Kontrast zum Hochgeschwindigkeits-Ideal seines Stücks. In mattem, subtil ausgeleuchtetem Licht sind fast nur die Oberkörper der Tänzer erkennbar und die vollführen mit ihren Armen und Händen ein Feuerwerk hochvirtuoser Bewegungsformationen. Die Extremitäten scheinen sich vom menschlichen Körper zu lösen und nehmen animalische, pflanzliche oder maschinenhafte Haltungen ein. Die Begeisterung des Publikums für die kräftezehrenden Leistungen des perfekt agierenden Corps der Rheinoper kennt keine Grenzen. Und an der handwerklichen Souveränität des Choreografen besteht kein Zweifel. Allerdings könnte seine Konzentration auf filigrane Hand- und Armarbeit zur Masche werden, wie ein Tag später die Aufführung seiner zehn Jahre alten Arbeit Sweet Sweet Sweet am Gelsenkirchener Musiktheater zeigen wird. Eine nennenswerte Entwicklung ist kaum wahrzunehmen. Die Arme flattern in seinem neuesten Stück vielleicht noch eine Spur filigraner als 2005. Aber die einstige innovative Schubkraft könnte sich rasch verflüchtigen.

Die schon fast manische Detailverliebtheit des Choreografen zeigt sich auch in der völligen Ablösung von der Musik. Die Duisburger Philharmoniker unter Leitung von Wen-Pin Chien geben mit der Orchesterfassung von Dmitri Schostakowitschs 8. Streichquartett zwar ihr Bestes. Im Grunde nimmt Goecke die Musik als Grundlage für seine Bewegungsformationen jedoch so gut wie nicht wahr.

Angesichts der spektakulären feinmotorischen Spitzenleistungen Goeckes drohen die nicht minder kreativen Schöpfungen von Young Soon Hue und Amanda Miller ein wenig an den Rand gedrängt zu werden. Anlass dazu besteht nicht. Eine eindrucksvolle Studie, der charismatischen Solo-Tänzerin Yuko Kato auf den Leib geschneidert, liefert die koreanische Choreografin Young Soon Hue mit ihrer Arbeit Illusion. Eine einsame, isolierte Frau im komplexen Spannungsfeld von Nähe und Distanz zu den Mitmenschen steht im Mittelpunkt des Tanzstücks. Traumwelten und harte Realität wechseln sich zu den sieben Sätzen von Phil Glass‘ Doppelkonzert ebenso intensiv wie kontrastreich ab. Beeindruckend bis zum letzten Takt. Und einfühlsam abgestimmt auf die Musik von Phil Glass‘ Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester mit den Konzertmeistern Siegfried Rivinius und Friedemann Pardall als exzellenten Solisten.

Spielerisch, gleichwohl respektvoll geht die Amerikanerin Amanda Miller mit klassischen Tanztraditionen um. In lichten, duftigen Kleidern und auf hell ausgeleuchteter Bühne absolvieren die Tänzer in Voices Borrowed eine halbe Tanzstunde mit allen Elementen des klassischen Balletts, die aber unvermittelt in teils groteske, teils ironisch gebrochene Bewegungen abbiegen. Passend zur ebenfalls etwas „verrenkten“ Bearbeitung eines Concerto grosso von Händel durch Arnold Schönberg. Zugleich ein wirkungsvoller Kontrast zur dunklen Szene Goeckes und dessen Umgang mit der Musik.

Drei großartige Ballette. Begeisterter Beifall für alle Beteiligten, wobei Goeckes Feinaakrobatik besonders spontane Reaktionen hervorruft.

Pedro Obiera

 

Fotos: Gert Weigelt