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Fakten zur Aufführung 

b.22
(Martin Schläpfer, Jerome Robbins)
15. Januar 2015
(Premiere)

Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Theater Duisburg


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Tanz

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Schläpfers neues Kammerdrama

Zwei große Ballette von Martin Schläpfer beherrschen das Programm b.22 der Deutschen Oper am Rhein. Seiner acht Jahre alten Impression aus Fauna und Flora, Ein Wald, ein See, stellt Schläpfer sein neuestes Werk voran: Verwunderung seyn – zu sehn. Für den merkwürdigen Titel bedient sich Schläpfer bei Arthur Schopenhauer. Dessen „Szenen aus dem Leben“, wie Schopenhauer seine Schrift Parerga und Parapilomena nennt, hat den Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein zu einem 45-minütigen Tanzstück für 15 Tänzer inspiriert, das trotz der vielgliedrigen Szenenfolge eine für Schläpfer ungewöhnliche Geschlossenheit aufweist und beinahe wie die Annäherung an ein Handlungsballett anmutet. Thema: Die Suche eines jungen Menschen nach dem Glück im Dschungel der eigenen Gefühle und einer widrigen Umwelt. Eine Art Faust in Kleinformat, aber mit allen großen und vor allem kleinen Gesten der Tanzsprache des Kult-Regisseurs. Angelegt ist das Ganze auf der leeren Bühne von Keso Dekker wie ein leises und intensives Kammerdrama: leise und intensiv. Das beginnt bei der Auswahl der Musik, die Denys Proshayev einsam und sensibel am Klavier zelebriert, wobei die Klaviersonaten Nr. 6 und 10 von Alexander Scriabin sowie für die lichteren Momente Franz Liszts Grande Valse di bravura Le Bal de Berne als Stimmungsbarometer für die verschiedenen inneren Befindlichkeiten des Protagonisten dienen sollen. Aber selbst der großspurige Titel des Liszt-Walzers verleitet den Pianisten, ganz im Sinne Schläpfers, nicht zu virtuosen Rundumschlägen.

Die Hauptpartie verlangt dem Brasilianer Marcos Menha ein immenses Repertoire an Bewegungs-Nuancen ab. Denn auch Schläpfers Choreografie zielt nicht auf die große Geste, sondern auf innere und zwischenmenschliche Vorgänge ab. Ausgedrückt in Monologen und Pas de deux‘, bei denen es äußerst hautnah zugeht. Menhas Mammut-Solo wird immer wieder durchbrochen von Eindringlingen wie zunächst Chidozie Nizerem, der ihn mit geradezu intimer Körpernähe in einen bedrohlichen Kampf drängt. Eine Situation, die von Frauen, darunter Ann-Kathrin Adam und Christine Jaroszewski, vorübergehend entschärft wird. Und so taumelt der Held zwischen hellen und bedrückenden Momenten durch das Leben und unausweichlich dem Tod entgegen. Eine anspruchsvolle, wie oft bei Schläpfer etwas lang geratene Arbeit von beeindruckender Intensität und filigraner Detailgenauigkeit, die das Premieren-Publikum im Duisburger Theater mit frenetischem Beifall begrüßt.

Tiere, Pflanzen und Menschen, Schauerromantik und pastorales Idyll vereinigt Schläpfer in seinem acht Jahre alten Tanzstück Ein Wald, ein See zu einem doppelbödigen, in paradoxe Stimmungen und Farben getauchtes Naturszenario. Auch hier suchen Menschen nach ihrer Erfüllung, müssen sich aber gegen widersprüchliche, ebenso faszinierende wie unheimliche Naturkräfte behaupten. Die Grenzen zwischen den Lebewesen verwischen. Flügelschlagend, kriechend, hüpfend und einander umschlingend bewegen sich die 19 Tänzer über die leere, einzig von einem Röhrensystem im Hintergrund angereicherte Bühne von Thomas Ziegler. Wer küsst da eigentlich wen? Klarheit verschafft nur der Überfall von Ausflüglern ins Naturrefugium. Eine derartig schuhplattlernde Hektik ist alleinige Domäne des Menschen. Schläpfer zeigt sich von seiner bitter angehauchten humoristischen Seite.

Zum Ende ziehen einsame Jogger im Waldesgrün ihre Bahn, bis sie sich in einer lang hingezogenen, meditativen Schlusssequenz ins Ensemble integrieren. Das verharrt still wie Baumriesen und schlägt leise Wellen auf dem ruhigen See.

Nicht zu vergessen die Live-Performance von Pavel Pavey, der mit Wassertrommel, Flügelhorn, Klavier und der eigenen Stimme das bizarre Szenario des Stücks in ein akustisches Labyrinth taucht, das Naturklänge, archaische Folklore, Jazz-Elemente und Psychedelic-Effekte vereint.

Zwischen diesen beiden mächtigen Brocken nimmt sich Jerome Robbins‘ originelle Bewegungsstudie Moves noch leiser und bescheidener aus. Da Aron Copland die Musik zu dem Stück nicht rechtzeitig fertigstellen konnte, führte es Robbins 1958 ohne Musik als „A Ballet in Silence“ auf. Akustisch werden nur die Schritte oder ein paar Klatscher auf die Oberschenkel hörbar, vor allem die kräftigen Huster aus dem Publikum.

Das Ganze wirkt wie eine leichtfüßige Parodie auf das klassische Bewegungsreservoire. In den mediterran hellen und leichten Kostümen von Gabriela Oehmchen bietet Robbins ein fast lautloses Intermezzo inmitten der tiefgründigen Werke Martin Schläpfers.

Das Publikum reagiert auf den anspruchsvollen Abend mit ungetrübter Begeisterung.

Pedro Obiera

 

Fotos: Gert Weigelt