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Fakten zur Aufführung 

MYTHENTRILOGIE
- VERFÜHRTE UND VERFÜHRER

(Emanuele Soavi)
11. Oktober 2014
(Uraufführung der Gesamttrilogie)

Theater Duisburg


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Sinnlich praller Einblick in die Mythenwelt

Ein glänzendes Beispiel für die Zusammenarbeit einer freien Tanz-Compagnie mit einer etablierten Institution wie den altehrwürdigen Duisburger Philharmonikern präsentierte jetzt das Duisburger Theater mit der erstmaligen Gesamtaufführung der drei Teile von Emanuele Soavis Mythentrilogie Verführte und Verführer, in der der italienische Tänzer und Choreograph mit neun Tänzern seiner Emanuele Soavi Incompany, zwei Schauspielern, einem DJ und den Duisburger Philharmonikern drei seiner mythischen Lieblingsfiguren, nämlich Daedalus, Pan und Ariadne, ein vor Kreativität, Lebendigkeit und Perfektion sprühendes Denkmal setzte. Die einzelnen Teile zeigte er zwar bereits 67-mal im In- und Ausland, die Gesamtschau eröffnet allerdings wesentlich tiefere Einsichten, ist aber ohne die Unterstützung öffentlicher Institutionen kaum möglich. Vorab also ein dickes Kompliment an die Kooperationsbereitschaft der Duisburger, vom Können der Soavi-Company ganz zu schweigen.

Über vier Stunden zogen die fabelhafte Emanuele Soavi Incompany und die vielen Mitstreiter an den Noten- und Mischpulten das Publikum im mäßig besetzten Theater in ihren Bann. Dass Soavi tief in die griechische Mythologie eintaucht, mag in seiner scheinbaren Bildungsbeflissenheit manchen vom Besuch abgehalten haben. Dabei erlauben gerade die mythischen Helden einen besonders plastischen Blick in die Gefühls- und Seelenlandschaft des Menschen. Erst recht, wenn man sie so kreativ, vital und sinnlich umsetzt wie Soavi und seine Freunde. Zumal die Duisburger Philharmoniker die elektronischen Originalbeiträge durch Live-Musik von Monteverdi bis Debussy wesentlich bereichern und perspektivisch erweitern.

Auch wenn für die Gesamtaufführung der einen oder anderen Passage eine Straffung gut getan hätte, wird man Zeuge eines der aufregendsten Bühnenprojekte der letzten Zeit. In der Zusammenschau ergeben sich interessante Verbindungen etwa zwischen Daedalus, der nicht nur die gescheiterten Höhenflüge seines Sohnes realisierte, sondern auch das Labyrinth für den missgestalteten Minotaurus entwarf, und Ariadne, die später zusammen mit Theseus die Menschheit von dieser Schreckensgestalt befreien wird, jedoch von ihrem Geliebten schmählich verlassen wird. Entsprechend werden die Fäden der Ariadne, an denen sich Theseus im Labyrinth orientiert, bei Soavi auf der meist leeren Bühne bereits im Daedalus-Teil gezogen. Die Kreationen über Daedalus als Herausforderer und Opfer wissenschaftlicher und technischer Kompetenzen und Träume des Menschen und über Ariadne als Inbegriff weiblicher Liebessehnsucht werden verknüpft durch eine einstündige Solo-Performance von Soavi, der in die Rolle des sinnlich-brutalen Pan schlüpft. Zu den Klängen von Debussys berühmtem Nachmittag eines Fauns bewegt sich Soavi noch in fast klassischer Schön- und Abstraktheit, bevor er sich zu den elektronischen Auftragskompositionen von Stefan Bohne und Wolfgang Voigt mit animalischer Beweglichkeit zu grotesken Mischwesen aus Mensch, Tier und Pflanze verbiegt. Letztlich noch einsamer als Ariadne auf einer menschenleeren, lediglich mit einem überdimensionalen Phallus angereicherten Bühne residierend.

Die Vernetzung von klassischer und elektronischer Musik wird in ARIADNEamore noch engmaschiger verknüpft. Monteverdis berühmte Klage der Ariadne, expressiv von der Sopranistin Alexandra von der Weth gesungen, ist eingebunden in ein farbiges und stilistisch kontrastreiches Umfeld neuer, oft minimalistisch pulsierender Klänge, wodurch die zeitlose Aktualität von Ariadnes Liebesweh noch unterstrichen wird. Gejammert wird allerdings nicht. Im Gegenteil: Das Gefühl der Verlassenheit stärkt die Gefühle Ariadnes und ihrer Gespielinnen zunehmend, so dass sich das Finalstück zu einem Fanal energiereicher Frauen-Power steigert.

Naturgemäß männerbetonter geht es im Auftakt zu, wenn sich Daedalus als Flugpionier und Architekt beweisen muss. Seine Illusionen und Abstürze setzt Soavi in plastische Bewegungsformationen um. Die warnenden Belehrungen vor den Gefahren eines unkontrollierten Fortschritts am Ende wirken dagegen etwas oberlehrerhaft.

Faszinierend, mit welcher physischen und mentalen Konzentration, mit welcher tanztechnischen Kreativität und Perfektion die neun Tänzerinnen und Tänzer das Mammutprogramm bewältigen. Nicht minder faszinierend, wie sich die Duisburger Philharmoniker, unter anderem mit dem Geiger Tonio Schibel und dem Flötisten Stephan Dreizehnter als Solisten, in das komplexe Projekt einfügen. Ebenso einfühlsam gehen DJ Stefan Bohne am Mischpult und Christina Spelti als Lichtdesignerin vor.

Das Publikum ist zwar nicht sehr zahlreich erschienen, folgt der langen Performance aber mit Spannung und Sachverstand.

Pedro Obiera

 

Fotos: Alexandra Schmidt