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Fakten zur Aufführung 

DIE WEISE VON LIEBE UND TOD
DES CORNETS CHRISTOPH RILKE

(Anna Teresa de Keersmaeker)
24. September 2015
(Uraufführung)

Ruhrtriennale, Gebläsehalle Duisburg


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Rilke dreifach verpackt

Erfolge sind schön, aber nicht immer. Max Bruch klagte über die Popularität seines Ersten Violinkonzerts, die den Blick auf sein übriges Werk versperrte, Saint-Saëns ließ seinen Karneval der Tiere sogar erst bewusst nach seinem Tod veröffentlichen, Dvořák sah sich durch seine Slawischen Tänze zum böhmischen Musikanten abgestempelt und Rainer Maria Rilke erging es mit seiner in jungen Jahren verfassten Erzählung Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ nicht anders. Ein kleines Werk mit der Geschichte eines jungen Mannes, der begeistert gegen die Türken zu Felde zieht und den Heldentod stirbt, entstanden um 1902, das entgegen aller Erwartungen ein Bestseller wurde und nicht nur viel gelesen, sondern auch in den Weltkriegen als Stimulanz für kriegsmüde Landser missbraucht wurde.

Rilke war der Erfolg nie geheuer, bezeichnete die Schrift selbst als „Geschmacklosigkeit“, was seine Beliebtheit freilich kaum schmälerte. Dabei darf und kann Rilkes Erzählung durchaus nicht als platter Muntermacher für vaterlandstreue Rekruten oder als patriotisches Heldengedicht gesehen werden. Dafür ist es von zu starken Zweifeln, Brüchen und seelischen Spannungen durchzogen.

Wenn sich eine so sensible Choreografin und Tänzerin wie die Tanz-Ikone Anne Teresa de Keersmaeker dem Stoff annimmt, sind es natürlich exakt diese Reibungsflächen zwischen äußerer Handlung und innerem Konflikt, die sie zu einer neuen, eigenwilligen Kreation motivieren. Die Arbeiten von de Keersmaeker gehören seit Jahren zum eisernen Bestand der Ruhrtriennale. Dabei sorgt sie mit ihrer grenzenlosen Inspirationskraft immer wieder für Überraschungen. So auch mit ihrer Umsetzung der knappen Rilke-Erzählung.

Zwei Tänzer, eine Flötistin und eine Videoleinwand reichen ihr, um die Weise als Fiebertraum zu deuten, in dem alle Sphären verwischen: Lebenslust und Todessehnsucht, martialisches Selbstbewusstsein und weibliche Zartheit. Entstanden ist eine 75-minütige Produktion, in der ein Zusammenspiel von Tanz, Schauspiel, Musik und gedruckter Literatur wirken soll. Doch gerade das gelingt nur teilweise.

Im Gegenteil: Der Ablauf in der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks trennt die Genres zunächst messerscharf. In der kühlen, leeren, grau-weißen Dekoration von Michel François vollzieht Michaël Pomero eine lautlose Tanzpantomime, der die Flötistin Chryssi Dimitriou mit fein zirpenden Klängen aus dem Opera per flauto von Salvatore Sciarrino folgt. Danach ist die Leselust des Publikums gefragt. Die Hälfte des Rilke-Texts wird auf die Video-Wand projiziert. Zeit zur Lektüre bleibt ausreichend. Anschließend tritt Anne Teresa de Keersmaeker persönlich in Erscheinung und rezitiert zu abstrakten Tanzübungen auswendig die zweite Hälfte. Die literarischen und tänzerischen Ebenen finden allerdings zu keiner zwingenden Einheit. Die Gattungen führen ein Eigenleben, die Musik ist da schon längst völlig verstummt.

Ist es das auch in dieser den Krieg auf jeden Fall verharmlosenden Erzählung Kolorit der Rilkeschen Sprache, das Keersmaeker zu ihrer Kreation inspiriert oder ist die Verbindung zwischen Text und Ausführung auf einer höheren Ebene zu suchen? Die Frage bleibt offen, so dass die Produktion trotz gewohnt hoher künstlerischer Qualität eine dicke Prise Rastlosigkeit hinterlässt.

Das Publikum reagiert mit starkem, aber recht kurzem Beifall auf die letzte Produktion der ersten Spielzeit der Ruhrtriennale unter dem neuen Intendanten Johan Simons.

Pedro Obiera

Fotos:
Anne van Aerschot/Herman Sorgeloos