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Fakten zur Aufführung 

GEGEN DIE WAND
(Ludger Vollmer)
20. Juni 2014
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein,
Oper Duisburg


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Im Fadenkreuz zweier Kulturen

Dass Ludger Vollmers Oper Gegen die Wand sowohl musikalisch als auch dramaturgisch über beachtliche Repertoirequalitäten verfügt, hat sie bereits mehrfach in Bremen, Stuttgart und Hagen bewiesen. Die Premiere der Deutschen Oper am Rhein im Theater Duisburg kann da mithalten, auch wenn Regisseur Gregor Horres die Akzente anders und nicht sonderlich werkdienlich setzt.

Der Inhalt berührt die Identitätsprobleme junger Migranten, die im Fadenkreuz zweier Kulturen, hier der deutschen und türkischen, aufwachsen. Gegen die Wand laufen die Türkin Sibel und ihr Freund Cahit, die sich in Deutschland und in ihren traditionsbewussten Familien einem Dickicht kommunikativer Mauern und Stolperdrähte ausgesetzt sehen. Um sich den Zwängen zu entziehen, gehen sie eine Scheinheirat ein, verlieren jedoch zunehmend den Halt und finden sich nach etlichen Krisen und Katastrophen am Ende in Istanbul wieder. Ende offen.

An sich wird in dem Stück niemand verurteilt. Nicht die traditionsbewussten Eltern, nicht der rabiate, unter einem enormen gesellschaftlichen Druck stehende Bruder der unglücklichen Sibel, nicht Sibels Schwester Selma, die als erfolgreiche Geschäftsfrau eigene Wege geht, nicht der Bruder Cahits, der Sibel einseitig beschimpft, und erst recht nicht das unglückliche Liebespaar. Doch gerade darin zeigt sich die Problematik der neuen Rheinopern-Produktion. Horres nimmt durch Überzeichnungen eindeutig Partei und verkennt, dass alle Verfehlungen und Ausbrüche als Ausdruck einer kulturell entwurzelten Irritation zu sehen sind.

Insgesamt geht Horres erheblich weniger dezent ans Werk als Norbert Hilchenbach in Hagen. Mit schicksalsschwerem Pathos bläht er die schlichte Handlung zu einem Melodram auf, das eher die psychotischen Probleme der jungen Leute ins Licht rückt als die alltäglichen Widrigkeiten, die sich ihnen im Alltag entgegenstellen. Eine Entwicklung der Figuren wird so verhindert. Cahit und Sibel präsentieren sich von Anfang bis Ende als depressive Psychiatrie-Patienten und nicht als Bürger mit Identitätsproblemen. Mit den übrigen Figuren geht Horres nicht sensibler um.

Nicht gelingen will dem Regisseur auch die Verquickung der Handlung mit Rap- und Breakdance-Einlagen, die eine Gruppe tüchtiger junger Künstler einbringen. Dunkel die Kulissen von Jan Bammes, eher überflüssig der Catwalk, der das Parkett zerteilt.

Und die Musik? Ludger Vollmer, der Berliner Komponist, strebt eine „gleichberechtigte Behandlung“ von westlicher und türkischer Musik an. Crossover-Ambitionen, die meistens schief gehen. Nicht so in seinem Erfolgsstück, auch wenn er mit dem Geschick eines versierten Filmkomponisten den Schwerpunkt auf türkische Vorbilder legt und die westlichen Anteile auf melodisch weit gespannte Rezitative und einige wenige minimalistische Orchestereinschübe reduziert. So bestimmt das türkische Kolorit die farbige und rhythmisch vitale Partitur, die zwar nicht auf dem Stand eines avantgardistisch orientierten Musiktheaters steht, in ihrer Fasslichkeit aber neue, auch junge und vielleicht sogar türkische Publikumsschichten erschließen könnte.

Gesungen und gesprochen wird in deutscher und türkischer Sprache mit ebensolchen Übertiteln. Und beide Sprachen sind den türkischstämmigen Protagonisten der Produktion geläufig. Grandios Şirin Kiliç, die die Rolle der Sibel bereits in der Bremer Uraufführung gesungen hat. Nicht minder überzeugend Günes Gürle als Cahit. Beide spielen und singen mit einer beeindruckenden Intensität und lassen die bleierne Pathetik der Inszenierung weitgehend vergessen. Hoch auch das Niveau des Gesamtensembles. Herausragend Michael Milanov als Sibels Vater mit tiefer Bassschwärze, Elisabeth Selle als Selma oder Tansel Akzeybek als aggressiver Bruder. Wen-Pin Chien und die Duisburger Philharmoniker bringen die filmreife Partitur leuchtkräftig zum Klingen.

Viel Beifall für ein sehenswertes Stück auf hohem musikalischem Niveau mit einigen szenischen Fragezeichen.

Pedro Obiera





Fotos: Hans-Jörg Michel