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Fakten zur Aufführung 

b.21
(Martin Schläpfer)
17. Oktober 2014
(Premiere)

Ballett am Rhein Düsseldorf
Duisburg, Oper Düsseldorf


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Tanz

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Innovative Tanzkunst in klassischer Schönheit

Alltag: Ein Titel, der mehr verschweigt als er preisgibt. Denn dahinter verbirgt sich eine kleine, aber brillante und vor allem anrührende Geste einer ungewöhnlich intensiven Freund- und Partnerschaft zweier Giganten der Tanz-Szene, die nicht alltäglich ist. Hans van Manen, die mittlerweile 82-jährige Legende aus den Niederlanden, hat sich noch einmal zu einer neuen Kreation hinreißen lassen. Gedacht als Freundschaftsgabe an Martin Schläpfer, den nicht minder erfolgreichen Leiter des Balletts der Deutschen Oper am Rhein, der sich mit seinen 55 Jahren noch einmal als Tänzer auf die Bühne wagte. Monate strenger Askese und disziplinierten Trainings inklusive eines schmerzhaften Muskelfaserrisses nahm Schläpfer auf sich, um die außergewöhnliche Herausforderung anzunehmen.

Entstanden ist eine kleine, aber feine und sehr intime Liebeserklärung an den Tanz, den beide so sehr befruchten. Und zwar in der Attitüde von Meistern, die sich und der Welt nichts mehr beweisen müssen. Abgeklärt, mit einer Wehmutsträne im Auge, aber auch mit leisem ironischen Esprit. Ein Stuhl dient als einziges Requisit. Der Stuhl, auf dem Schläpfer, scheinbar erschöpft, zunächst einmal Platz nimmt. Allmählich setzt er sich in Bewegung, zunächst allein, später gesellt sich die famose Marlúcia do Amaral zu einem schlichten Pas de deux hinzu. Van Manen greift zu Zitaten aus früheren Schläpfer-Balletten mit bewegungstechnischen Anforderungen, die Schläpfer viel abverlangen, die er aber mit erstaunlicher physischer Beweglichkeit und eiserner Konzentration perfekt ausführt. Doris Becker und Alexandre Simões treten in knapper Trikotage hinzu und entfalten eine Hommage an die klassisch inspirierten Bewegungsmuster van Manens. Es kommt zu einer beeindruckenden Stil-Collage zweier Großmeister, eingebettet in überwiegend zarte Klänge von Bach und de Nebra sowie der Romantiker Schubert und Mahler. Ein Memento an die Leistungen des Choreografen van Manen und des ehemaligen Tänzers Martin Schläpfer, von einer ebenso überirdischen Melancholie durchzogen wie Gundula Janowitz‘ wunderbare Interpretation von Schuberts Abgesang an die Welt: Du bist die Ruh‘.

Ein Kleinod, das Schläpfer in seinem neuesten Programm b.21 mit romantisch orientierten, nur selten verstörenden „Klassikern“ garniert. Zunächst mit Georges Balanchines traumhaft schöner Serenade zur gleichnamigen Musik von Tschaikowsky, einer Offenbarung aus Spitze in Weiß und Blau, die von dem mittlerweile auf Weltniveau geformten Corps de Ballett mit schwereloser Anmut ausgeführt wird und auch nach 80 Jahren nichts von ihrer Frische eingebüßt hat. Zum Abschluss zeigt Schläpfer seine im letzten Jahr aus der Taufe gehobene Umsetzung von Johannes Brahms' Zweiter Symphonie, die diesmal merkwürdigerweise einige Buh-Rufe provoziert.

Eine Arbeit, die durch das schwarze, wolkenverhangene Bühnenbild und die dunklen Kostüme von Keso Dekker schon optisch einen Kontrapunkt zur lichten, pastoral angehauchten Musik bietet. Schläpfer lässt keinen Zweifel daran, dass er die Musik keineswegs als entspannten Lichtblick im ansonsten eher dramatisch zupackenden symphonischen Werk des Meisters empfindet. Entsprechend herb lässt er auch tanzen. Zu sinnlich zarten Pas de deux kommt es nicht, lassen die Kostüme nicht einmal eine Unterscheidung der Geschlechter zu. Und selbst das scheinbar heitere Allegro grazioso, das Marlúcia do Amaral allein gestaltet, wirkt eher wie ein irritierender Kommentar. Zunächst löst sich die brillante Tänzerin erst mühsam aus einer Starre und beschleunigt dann die Bewegungsenergie bis zu einer überdrehten Motorik, wenn sie zum Schluss endlose Girlanden auf Spitze durch den gesamten Bühnenraum vollführt, auch wenn die Musik längst verklungen ist. Schläpfer sieht seine Deutung als persönliche Suche nach der „Essenz Schwanensee“. Eine Intention, die er nicht nur eindunkelt, sondern auch durch kleine Gummienten ironisch bricht.

Einen Wermutstropfen liefern Maestro Jochem Hochstenbach und die Düsseldorfer Symphoniker mit einer enttäuschend uninspirierten und ungenauen Interpretation der Brahms-Symphonie.

Das Publikum reagiert auf alle drei Beträge insgesamt geradezu enthusiastisch, einige Proteste nach der Brahms-Darbietung ausgenommen. Dass bereits in die Schluss-Akkorde der Brahms-Symphonie hinein applaudiert wird, sollte keine Schule machen.

Pedro Obiera

 

Fotos: Gert Weigelt