Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

b.20
(Martin Schläpfer)
23. Mai 2014
(Uraufführung)

Ballett am Rhein Düsseldorf
Duisburg, Oper Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Spitzentanz im Kosmos

Martin Schläpfer, der Direktor des Balletts der Deutschen Oper am Rhein mit Kultstatus, macht es seinen Tänzern und dem Publikum nicht leicht. Seine abstrakten, filigranen Arbeiten stützt er nicht nur auf vertraute Klänge von Schubert und Brahms, sondern dafür ist ihm auch das Beste der zeitgenössischen Musik gerade gut genug. Sei es Helmut Lachenmann, dessen Tanzsuite mit Deutschlandlied zu einer seiner bekanntesten Arbeiten geriet und den er für sein neuestes Programm b.20 sogar für ein abendfüllendes Tanzstück gewinnen wollte. Oder die renommierte rumänische Komponistin Adriana Hölszky, die den Auftrag letztlich annahm. Das Ergebnis, das 75-minütige Tanzstück Deep Field, wurde jetzt im Düsseldorfer Opernhaus mit starkem Beifall und einigen Protesten auf der Taufe gehoben.

Die Besonderheit liegt nicht nur im „fantastischen“, den Erdkreis verlassenden Thema, sondern im Entstehungsprozess. Über drei Jahre arbeiteten Schläpfer, Hölszky und die Bühnenbildnerin Rosalie nahezu unabhängig an ihren Beiträgen, lediglich verbunden durch einige Treffen mit vagen Absprachen. Entstanden ist ein Werk, das entsprechend stark von den Handschriften der drei Künstler geprägt ist. Dennoch verbinden sich die Ingredienzien zu einem schlüssigen Gesamtkunstwerk, wobei Reibungsflächen durchaus erwünscht sind.

Deep Field nennt sich der Trip in kosmische Weiten. Der Titel stützt sich auf einen Begriff aus der Astronomie und bezeichnet das Abbild eines kleinen Teils des Sternenhimmels, das in unterschiedlichen Lichtkonzentrationen 1985 vom Hubble-Weltraummikroskop sichtbar gemacht werden konnte. Daran orientiert sich die Komposition mit ihren teils fließenden, teils abrupten Wechseln von der klanglichen Totale bis hin zu atomisiert feinen Bestandteilen. Metamorphosen eines Klangs ohne Streicher, dafür mit viel Blech und Schlagzeug sowie zwei Akkordeons, der sich in den Händen Hölszkys wie Wachs verformt und geradezu magische Assoziationen auslöst. Eine große Herausforderung für die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Wen-Pin Chien, aber auch für den im 3. Rang postierten WDR-Rundfunkchor, der, wenn auch völlig unverständlich, extrem verschachtelte Texte von Nietzsche, Hesse und Hölderlin skandiert.

Rosalie überzieht den Bühnenhintergrund mit einem differenziert ausgeleuchteten Gitternetz, das entfernt die Konturen eines instabilen Körpers erkennen lässt. Und Schläpfer zieht alle Register seines Bewegungsrepertoires, um den langen, detailreichen Abend füllen zu können. Was die Tänzer, im Ensemble ebenso wie im Paar- und Solotanz, aufbieten, mutet wie eine Symbiose der reichen Tanzästhetik Schläpfers an. Es wird viel auf Spitze getanzt, aber stets mit den ihm eigenen Verfremdungen und Verrenkungen. Erstaunlich, dass trotz der drei unterschiedlichen „Schöpfer“ das Gesamtergebnis wie gewachsen wirkt. Dennoch schleichen sich Wiederholungen ein, so dass man sich fragen kann, ob sich nicht durch die eine oder andere Kürzung die bisweilen sinkende Spannungskurve hätte aufhalten lassen können.

So außergewöhnlich sich Schläpfers neuestes Werk präsentiert, und wie sehr es als seine bisher vielleicht ambitionierteste Arbeit angesehen kann: Schläpfer schraubt seine Ansprüche, die das Corps de Ballet brillant umsetzt, damit so hoch, dass es ihm schwerfallen dürfte, diesen Maßstab in Zukunft noch zu erreichen, geschweige denn zu übertrumpfen.

Gleichwohl: Wer im Tanztheater das Besondere sucht, ist mit Deep Field bestens aufgehoben, auch wenn das Publikum nicht eindeutig reagiert, und die Ovationen durch etliche Buh-Rufe getrübt werden.

Pedro Obiera

 

Fotos: Gert Weigelt