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Fakten zur Aufführung 

WAS DAS NASHORN SAH, ALS ES
AUF DIE ANDERE SEITE DES ZAUNS
SCHAUTE

(Jens Raschke)
13. September 2015
(Premiere)

Junges Schauspielhaus Düsseldorf


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Entscheiden muss man sich immer

Na, da haben die Eltern ihren lieben Kleinen aber einiges zu erklären. Denn Jens Raschke hat mit Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute im vergangenen Jahr ein vielbeachtetes Stück geschrieben, in dem es nicht um das Konzentrationslager in Buchenwald geht. Vielmehr geht es ihm nach eigenem Bekunden um Handlungsoptionen und die Botschaft: Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung. Tatsächlich beruht das Stück, das jetzt zur umjubelten Premiere im ausverkauften Jungen Schauspielhaus in Düsseldorf kommt, auf einer wahren Begebenheit.

Die Fabel berichtet aus dem Zoo, der 1938 zur Erbauung des Wachpersonals und seiner Familien am Zaun des Konzentrationslagers Buchenwald erbaut wurde und sich auch großer Beliebtheit bei den Bürgern im acht Kilometer entfernten Weimar erfreute. So haben die Tiere also auf der einen Seite freie Sicht auf den Schornstein der Verbrennungsöfen – ohne zu wissen, um was es sich dabei handelt – auf der anderen Seite liegen die feinen Häuser der Kulturstadt Weimar. Oder um es anders auszudrücken: Die Tiere werden zwischen den Fronten von Gestiefelten und den Zebras auf zwei Beinen aufgerieben. Der Pavian als Wortführer sieht seine größte Verantwortung darin, dass die Tiere unbeschadet bleiben und befiehlt deshalb: Nicht hinschauen! Wer brav seine Arbeit verrichtet und sich den Machthabern als gefällig erweist, dem kann nichts passieren. Und wenn der Tod des Nashorns in einer kalten Winternacht unklar ist, kümmert man sich auch besser nicht darum. Die junge Bärin, die das Gehege des Nashorns „erbt“, kümmert sich in erster Linie mal nicht darum, was Papa Pavian so zu verkünden hat. Sie schaut über den Zaun, stirbt an ihrer Neugier und sprengt das System. Dass der Pavian bei dem so verzweifelten wie missglückten Versuch, den Mächtigen zu erklären, warum seine Tiere unschuldig und unbeteiligt sind, kurzerhand erschossen wird, macht die Entscheidung, sich einzumischen oder wegzuschauen, nicht leichter.

Christof Seeger-Zurmühlen, künstlerischer Leiter des Jungen Schauspielhaues, hat sich der Inszenierung angenommen. Er spart nicht mit Bildern, fordert aber auch mächtig die Fantasie der Jugendlichen ab elf Jahren. Die Bühne von Kirsten Dephoff zeigt in der Mitte einen Kleiderberg – Assoziationen zu den Kleiderbergen im KZ sind wohl erlaubt – zu dessen beiden Seiten Leitern aufgestellt sind. Über dem Berg qualmt bei Belieben ein „Schlot“. Im Hintergrund ist ganz in schwarz der Zaun vom Boden bis zur Decke zu sehen, der links und rechts geöffnet werden kann. Im schwarzen Raum dahinter sind Puppen, als KZ-Häftlinge eingekleidet, zu erkennen. Puppen können nicht aktiv werden, sind zur Hilflosigkeit verdammt. Ganz anders die Gestiefelten, die an ihren überdimensionierten Gipsmasken und schweren Stiefeln erkennbar sind. Die Kostüme, ebenfalls von Dephoff, deuten die verschiedenen und wechselnden Rollen nur an.

Um diesen Rahmen mit verständlichem Leben zu füllen, ist hoher Spieleinsatz der Schauspieler gefordert. Und da bekommt das Publikum ganz großes Theater geboten. Alexander Steindorf gibt als Pavian den fürsorglichen Opportunisten bis zur letzten Konsequenz. Als Bärin muss die eher schmächtige Maëlle Giovanetti viel Überzeugungsarbeit leisten. Und es gelingt ihr, sowohl das Tier als auch die Person, die nachdenkt und sich einmischt, vollends glaubwürdig zu präsentieren. Viel Spaß bereitet das Murmeltiermädchen Teresa Zschernig als naiv-lustige Mitläuferin. Warum ein Mufflon mit bayerischem Akzent sprechen muss – geschenkt. Jonathan Schimmer beherrscht ihn ebenso wie seine Rolle tadellos. Auch Julia Goldberg, Jasmina Musić und Nora Pfahl, die zudem für die Choreografie verantwortlich zeichnet, tragen erheblich zum Gelingen des Abends bei. Die Doppelleistung, neben ungewöhnlich viel Text auch immer noch die doch eher ungewohnten Tierbewegungen nachzuvollziehen, gelingt mit Bravour. Seeger-Zurmühlen scheucht sein Personal ganz ordentlich über die Bühne. Trotzdem gibt es auch schweißüberströmt keine Versprecher. À la bonne heure!

Etwas dürftig kommt die Musik von Bojan Vuletić vom Band und auch dann nur milde stimmungsunterstreichend zum Einsatz. Das ist eher halbherzig gelöst.

Das Publikum stört es nicht. Es feiert Ensemble und Leitungsteam mit langanhaltendem Applaus.

Michael S. Zerban

 







Fotos: Sebastian Hoppe