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Fakten zur Aufführung 

VON UNS AUS: WEITER
(plöger|winkler|becker)
26. Augst 2015
(Premiere)

Forum Freies Theater Düsseldorf


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Ihr müsst nur mal fragen

Eine letzte große Explosion, die bis in den Bühnenraum zu hören ist, dann ist er weg: der Kö-Bogen – steinern erstarrtes Sinnbild eines überbordenden Kapitalismus, der den Menschen Lebensraum nimmt. Während die Lokalzeitung nicht müde wird, die abweisende, großkotzige Architektur zu loben, haben viele Bürgerinnen und Bürger der Stadt eine ganz andere Meinung zum Konsumtempel. Das hätten die zuständigen Politiker leicht erfahren können; sie hätte die Bürger nur befragen müssen. Haben sie nicht. Hätten die kulturellen Institutionen der Stadt wie die Theater es dann nicht unternehmen müssen? Haben sie nicht. Themen, die die Bürger einer Stadt bewegen, auf die Bühne zu bringen, gilt in Kulturkreisen oft genug als kleinkariert und provinziell. Schließlich sind wir alle Kosmopoliten.

Das Produktionsteam von Bernd Plöger, Erika Winkler und Gila Maria Becker hat jetzt am Forum Freies Theater nachgeholt, was, rückblickend betrachtet, längst überfällig scheint. Sie sind in die Stadtteile gegangen und haben die Bürger danach gefragt, was sie im Theater, in ihrer Stadt, in ihrem Leben umtreibt. Die Ergebnisse haben sie von Laiendarstellern, die zuvor praktische Fertigkeiten in Werkstätten erlernt haben, theatralisch aufarbeiten und umsetzen lassen. In der zweistündigen Collage von uns aus: weiter präsentieren sie, was dabei herausgekommen ist, in verschiedenen Stationen. Ob Tanz, Schauspiel, Video oder Klang: Spartenübergreifend und durchaus packend wird ein Kaleidoskop an städtischen Themen ausgebreitet, das mehr Fülle als Rücksicht auf Größe zeigt. Nicht nur die „großen“ Themen – wie in der schön rezitierten Flugschrift Friede den Hütten, Krieg den Palästen von Karl Georg Büchner – sondern auch die im Schauspielhaus empfundene Langeweile oder fehlende Fahrradwege finden so ihren Weg auf die Bühne. Damit ist der Abend weder provinziell noch kleinkariert, sondern oft emotional und viel häufiger noch authentisch.

Einer der Höhepunkte des Abends ist das Gespräch zwischen einer, die noch viel mehr Menschen in dieser Stadt integrieren möchte, und einem, der befürchten muss, dass darüber seine Schützlinge in Vergessenheit geraten. Miriam Koch ist Flüchtlingsbeauftragte der Landeshauptstadt und hat derzeit alle Hände voll zu tun, Wohnraum und menschenwürdige Zustände für die Flüchtlinge zu schaffen. Auch dann noch, wenn sie die Hass-Mails gelesen hat, von denen auch sie nicht verschont wird. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit, an diesem Abend für die humanitäre Aufgabe zu werben. Vor allem deshalb, weil sie mit einem starken Pfund wuchern kann: „Die Düsseldorfer haben eine großartige Willkommenskultur“, erzählt sie. Menschen wie sie sind es, die eine Stadt nicht nur lebenswert machen, sondern auch auf eine bessere Zukunft hoffen lassen. Es scheint derzeit nicht mehr so viele davon zu geben. Aber ein zweiter sitzt gleich ihr gegenüber. Hubert Ostendorf setzt sich seit mehr als 20 Jahren für die Belange von Obdachlosen ein. Nicht, ohne sie selbst in die Pflicht zu nehmen und sie immer wieder in – humorvollen – Aktionen als Akteure einzuspannen. Und noch weniger ist er bereit, Kompromisse einzugehen, wenn es um die Menschenwürde von Obdachlosen geht.

Während die Laiendarsteller sich recht gekonnt bemühen, ihre Gäste zu begeistern, trägt auch die Offenheit des Stationensystems seine Früchte. Neben den Unsicherheiten, wohin man sich als nächstes zu begeben hat, entsteht eine Atmosphäre, wie man sie sich in manchem Bürgerbüro gern einmal wünschte. Auf den Fluren sirrt die Stadt als Gesprächsthema. Mehr kann man von einem solchen Projekt kaum erwarten. Dass am Ende die imaginäre Sprengung des Kö-Bogens steht, scheint dann nur noch konsequent.

Erinnerungen an das Polit-Theater der 1980-er Jahre werden wach. Für diejenigen, die es erlebt haben. Von denen sind allerdings nicht so viele da. Die Jungen, die erleben das zum ersten Mal – und empfinden es als fulminante Bereicherung. So war das damals auch. Gestorben ist diese Theaterform damals, weil es viele Fragen, viel Radikalität gab, aber keine Antworten, die über den Tag hinausreichten. Jetzt dürfen wir gespannt sein, ob es der jüngeren Generation gelingt, die Antworten, die damals ausblieben, heute zu finden.

Michael S. Zerban

 







Fotos: Klaus Hoffmann