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Fakten zur Aufführung 

DIE VÖGEL
(Jens Thomas)
14. September 2014
(Premiere)

Düsseldorf-Festival, Theaterzelt


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Grusel am Nachmittag

Längst ist er aus dem Schatten seines Vaters Willy herausgetreten. Matthias Brandt gehört zur ersten Riege deutscher Schauspieler. Spätestens seit seiner Rolle als Kriminalkommissar Hanns von Meufels in der ARD-Fernsehserie Polizeiruf 110 ist Brandt auch dem Massenpublikum bekannt. Bereits im vergangenen Jahr sprengte er gemeinsam mit dem begnadeten Musiker, Komponisten und Sänger Jens Thomas die Dimensionen des Genres Musikalische Lesung, als die beiden beim Düsseldorf-Festival Psycho – Fantasie über das kalte Entsetzen inszenierten.

Das Düsseldorf-Festival zeichnet sich vor allem durch die Vielfalt seines Angebots aus. Vom zeitgenössischen Tanz über die Lesung, Konzerte, Theater bis hin zum Musiktheater finden die Besucher so ziemlich jede Möglichkeit kultureller Teilhabe. Nach dem überwältigenden Erfolg des Duos Brandt und Thomas lud das Festival die beiden nicht nur mit einer neuen Produktion ein, sondern setzte vorsorglich auch eine Zusatzveranstaltung am Sonntagnachmittag an. Zu Recht: Am Nachmittag bereits ist das Theaterzelt auf dem Burgplatz ausverkauft.

Auch die neue Produktion befasst sich mit einem Hitchcock-Klassiker. Nur drei Jahre nach Psycho kam 1963 Die Vögel in die Kinos. Basierend auf einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier aus dem Jahr 1952, verlegte Alfred Hitchcock die Handlung seines Meisterwerks nach Bodega Bay in Kalifornien. Allerdings ließ Drehbuchautor Evan Hunter von der ursprünglichen Erzählung außer dem Motiv der angreifenden Vögel kaum mehr etwas übrig. Wer den mit filmisch-visuellen Effekten gespickten Horrorfilm einmal gesehen hat, wird sich kaum vorstellen können, was davon auf einer Bühne – außerhalb von Slapstick – bleiben könnte. Noch dazu, wenn eine Lesung vollmundig als „nervenzerreißender Schocker“ angekündigt wird.

Matthias Brandt und Jens Thomas lassen sich erst gar nicht auf den Versuch ein, sich in irgendeiner Weise dem Hitchcock-Spätwerk zu nähern. Auf der Bühne sind Flügel, E-Gitarre, ein Lesetisch mit Stuhl nebst technischer Anlagen untergebracht. Musiker und Schauspieler treten im Partnerlook auf: Schwarzes T-Shirt und schwarze Hose zu bunten Turnschuhen. Auf dem Tisch das Manuskript mit Auszügen aus dem Originaltext der englischen Schriftstellerin vervollständigt die Ausstattung. Die Bühne selbst ist in der Tiefe verkürzt und schließt mit einem blau beleuchteten Vorhang ab. Die Beleuchtung bleibt während der knapp 90-minütigen Aufführung unverändert. Gedanken an Tippi Hedren sind da schnell vergessen.

Stattdessen singen die beiden Charismatiker erst mal in den Resonanzboden des Flügels, ehe Thomas das Publikum mit E-Gitarre, Klavier und Stimme gleichzeitig auf die Grundstimmung einschwört. Und wenn Brandt mit sonorer Stimme die Erzählung um den Landarbeiter Nat Hocken aufnimmt, während Thomas weiter Klanglandschaften zaubert, wird allmählich deutlich, wie die beiden eine Spannung aufbauen wollen, die das Publikum über anderthalb Stunden bis zur Atemlosigkeit fesselt. Hier findet nicht eine Lesung mit intermittierendem Musikgeplänkel statt, sondern die Inszenierung einer Geschichte. Eigene Kompositionen von Klangcollagen kombiniert Thomas mit Variationen von beispielsweise Dylan-Thomas- oder Beatles-Songs, mischt sich ein, unterstreicht, treibt die zunehmend gruselige Entwicklung voran. Brandts Stimme, die mitunter auch den Refrain unterstützt, wandelt sich von der des Vorlesers bis zum schließlich beinahe tonlosen Schlusssatz, der auf der dunklen Bühne trocken ausklingt.

Vom Gruselnachmittag bleibt eine Gänsehaut – und der Jubel des Publikums, das alle Formen der Begeisterung äußert. Und ach, wie schön, diejenigen, die keine Zeit haben, sich bei den Künstlern zu bedanken, werden abgestraft, weil ihnen die Zugabe entgeht. Das Düsseldorf-Festival erlebt an diesem Nachmittag einen seiner vielen Höhepunkte.

Michael S. Zerban







Fotos: Opernnetz