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Fakten zur Aufführung 

TRAUM EINES LÄCHERLICHEN MENSCHEN
(Subbotnik)
13. September 2014
(Premiere)

Forum Freies Theater Düsseldorf


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Liebe deinen Nächsten wie dich selbst

Während viele Theater immer noch auf die großen Klassiker oder Unterhaltungsstücke setzen, wird offenbar ganz allmählich immer mehr Theatermachern bewusst, dass die fehlende Stellungnahme der Bühnen zu Gesellschaftsfragen das Theater überflüssig macht. Vor zwei Jahren haben der Musiker Kornelius Heidebrecht aus Almaty in Kasachstan, Regisseur Martin Kloepfer aus Essen und der Schauspieler Oleg Zhukov aus Odessa die Gruppe Subbotnik gegründet. Der Begriff kommt aus dem Russischen und bedeutet so viel wie freiwillige Samstagsarbeit im Dienste der Gemeinschaft. Zur Spielzeiteröffnung haben die drei Künstler nach der Vorlage von Dostojewskis Traum eines lächerlichen Menschen ein Stück mit gleichnamigem Titel inszeniert. Zur Erinnerung: Fëdor Mihajlovič Dostojevskij wurde 1849 im Alter von 28 Jahren wegen seiner politischen Ansichten verhaftet und nach acht Monaten Festungshaft zum Tode verurteilt. Zar Nikolaus I. begnadigte ihn, und die Strafe wurde zu vier Jahren Haft im Zuchthaus von Omsk in Sibirien umgewandelt. Als er nach Petersburg zurückkehrte, hatte er seinen sozialistischen Ansichten abgeschworen und wandte sich dem Christentum zu. 1876 verfasste er die fantastische Erzählung Der Traum eines lächerlichen Menschen. Der Ich-Erzähler, ein von den Mitmenschen wegen seiner Lächerlichkeit verachteter Mann, beschließt, sich das Leben zu nehmen. Bevor er sich mit dem lange zuvor erworbenen Revolver erschießen kann, schläft er ein und reist im Traum zu einem fernen Planeten, auf dem die Menschen fröhlich, glücklich und von natürlicher Schönheit sind. Mit seiner Ankunft bringt er die Lüge mit und verursacht auf dem neuen Planeten erneut den Sündenfall. Die Botschaft, wie der ständigen Wiederholung des menschlichen – und allzu lächerlichen – Dilemmas zu entkommen sei, ist so einfach wie anscheinend nicht zu verwirklichen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Das klingt zunächst einmal wenig populär, hat so gar nichts mit unserem derzeitigen „Jeder liebt sich selbst, dann werden alle geliebt“ zu tun und ist überdies ein Schmarrn aus der Bibel. In einer Zeit, in der die Massenmedien den Menschen suggerieren, die einzig mögliche Gesellschaftsform sei, dem Götzen Mammon zu frönen, gewinnen aber solche Worte neues Gewicht. Subbotnik erzählt die Geschichte Dostojewskis neu, ohne falsches Pathos und, wenngleich stark monologlastig, ungeheuer fantasievoll. Da steht auf der Bühne erst mal eine kleine Gemeinde. Häuser aus Pappkartons, darüber die klassischen Faltlampen einer schwedischen Möbelfirma, im Hintergrund die öffentliche Orchesterbühne. Auf der spielen Daniel Brandl, Sebstian Langer und Antonia Malbach eine dissonante, bisweilen atonale, aber eingängige Musik, wenn sie nicht mit den Schauspielern gemeinsam musizieren. Das geht dann bis zum Trauermarsch aus New Orleans. Denn anders als in der Erzählung wird auf der Bühne nicht deutlich, dass die Selbsttötung nicht stattfindet. Stattdessen wird der „Leichnam“ des Protagonisten, wie beim Bestatter üblich, für seine letzte Reise vorbereitet. Das ist angesichts der folgenden „Sargerzählung“ schlüssig. Und erklärt auch, warum der Mann nicht zur Erde zurückkehrt.

Im Juta auf der Kasernenstraße, der kleineren Spielstätte des Freien Forums Theater Düsseldorf, erlebt das Publikum im ausverkauften Haus die Magie des Musiktheaters neu. Isabella Bartdorff, Olaf Helbing, Andreas Maier und Julia Malik überraschen als Schauspieler mit immer neuen, intelligenten Nebenhandlungen, mit einem hohen Grad an Authentizität und viel Spielfreude. Auch ein Schuss Erotik wird nicht ausgelassen. Da wird die Botschaft glaubwürdig und bleibt abseits jeder Dogmatik. Erfrischend, abwechslungsreich und kurzweilig verstreichen 75 Minuten.

Das Publikum dankt mit kurzem, heftigem Applaus. Und geht hoffentlich mit dem Virus infiziert nach Hause, dass es an der Zeit ist umzudenken. Weil ein Schriftsteller schon vor mehr als hundert Jahren den richtigen Weg gewiesen und Subbotnik ihn neu und richtig interpretiert hat.

Michael S. Zerban







Fotos: Tom Jasny