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Fakten zur Aufführung 

SCHWANENSEE
(Pjotr Iljitsch Tschaikowski)
15. Januar 2015
(Gastspiel)

Mitsubishi Electric Halle, Düsseldorf


Points of Honor                      

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Nummernrevue beim Massenpicknick

Russisches Ballett genießt Weltruf. Kirow- und Bolschoi-Ballett sind schlicht Institutionen. Wenn in Düsseldorf der Auftritt des „Russischen Nationalballetts“ angekündigt wird, ist das irreführend. Denn dabei handelt es sich nicht um die Instanz, die die Tradition und eben den Weltruf vertritt, sondern um das Staatliche Russische Ballett Moskau, das für die Nachwuchskünstler steht. Nun ist ja gegen den Nachwuchs generell nichts einzuwenden, nur die Erwartungshaltung ist eine andere.

Wer das so genannte Programmheft erwirbt, erfährt, dass das „Nationalballett“ sich auf einer Gastspielreise mit sage und schreibe acht Produktionen befindet. Das grenzt an fehlende Seriosität. Aus dem Programmheft erfährt der Käufer die Handlung der Ballette und auf einem beigelegten Zettel die Besetzung des Abends. Mehr Informationen gibt es nicht. Immerhin sind zahlreiche, geschönte Fotografien im Vierfarb-Hochglanz-Druck zu bestaunen – und so hält sich der Ärger über sechs Euro in Grenzen.

In der Halle schwebt ein Geruch maschinell hergestellten Popcorns. Das kennen wir aus Kinos, und da ist es genau so widerlich. Pünktlich um acht Uhr beginnt die Musik – aus einem Lautsprecher rechts der Bühne zu dröhnen. Wir sprechen von Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Schwanensee. Hier kommt sie als blechern-tönende Konserve in einer Halle daher, die für ihre miserable Akustik bekannt ist. Das ist selbst dem unbewanderten Publikum so fern, dass es sich davon nicht in seinen Gesprächen beirren lässt. Im Parkett steigt die Verärgerung über die fehlende Sicht. Hier sitzen alle auf einer Ebene und schauen zu einer Bühne auf, deren Abrisskante so hoch ist, dass von der Fußarbeit der Akteure so gut wie nichts zu sehen ist. Nach Einbruch der Dunkelheit findet das große Stühlerücken statt. Das Rascheln der Popcorn-Tüten und herunterfallende Plastikbecher begleiten die Aufführung ebenso wie permanentes Flüstern in der ersten Hälfte.

Auch auf der Bühne findet Handlung statt. Vor einem gemalten Prospekt im Hintergrund, der ein Schlösschen auf einem Fels in einem See und ein paar herausragende Felsen in falscher Dimension zeigt, finden zwischenzeitlich auch ein paar Bänke und ein Thron Platz. Ansonsten steht der Bühnenboden, der sich mehr für Veranstaltungen wie River Dance eignet, den Tänzern zur Verfügung. Die Sprünge der Herren enden regelmäßig mit einem satten Plumpsen. Obwohl die Tänzer natürlich nichts dafür können, nimmt es doch viel von der Eleganz der Bewegung. Aber viel Eleganz oder Anmut gibt es ohnehin nicht zu erleben. Die Choreografie ist einfallslos. Manierierte Gesten und gekünsteltes Einherschreiten sind kein Ersatz für die hohe Kunst des Balletttanzes. Stolperer, Taktlosigkeiten und verpatzte Abschlüsse mindern zusätzlich den Genuss. Zudem wird die Handlung zur Nummernrevue zerstückelt. Nach jeder Szene endet die Musik – wenn sie nicht in der Szene endet, weil das System abschmiert – die Tänzer treten an den Bühnenrand, um ihren Applaus zu empfangen. Das so genötigte Publikum hält fast bis zum Ende durch, allerdings werden die Ovationen immer dünner.

Nach Pausenende scheint die Motivation gering, in den Saal zurückzukehren. Welch ein Glück, dass so viele Menschen die Taschenlampen-App auf ihrem Smartphone geladen haben. So findet man auch bequem fünf Minuten nach Fortsetzung der Veranstaltung seinen Platz. Das ist auch gut so, schließlich wollen die Curry-Würste und Frikadellenbrötchen noch verzehrt werden, die man in der Pause erworben und mit in die Halle gebracht hat. Nach dem Essen ist dann noch Zeit für ein paar Erinnerungsfotos. Allerorten blitzt es. Selbst auf der Bühne. Aber da ist es immerhin gewollt. Ist schon der Prospekt statisch, soll zumindest über Lichtwechsel Spannung aufgebaut werden. So werden einzelne Szenen in farbiges Voll-Licht getaucht, hier und da kommt ein Verfolger zum Einsatz und dramatisch wird es bei der Verwendung von Schwarzlicht.

Häufiger im Lichtkreis des Verfolgers taucht Odette auf. Odette, das ist der Traum eines jeden Mädchens, das im Ballett Karriere machen will. Odette tanzen nicht viele. Das ist in jedem Corps eine Ehre. Warum also darf sich Liudmila Titova nicht freuen, ist ihr Gesicht zur Maske erstarrt? Wir wissen nicht, ob sie womöglich starke Schmerzen leidet, angesagt worden ist jedenfalls nicht, dass sie indisponiert sei. Auch Sergej Skvortsoy wirkt selbst dann nicht sehr glücklich, wenn Prinz Siegfried eigentlich Grund zur Freude hätte. Gelangweilt ist an vielen Stellen der passendere Begriff. Vielleicht ist es auch ein Übermaß an Konzentration. Dafür sprechen auch die kurzen Pausen vor Drehungen, Sprüngen und Schrittfolgen – so wie ein Sportler Anlauf nimmt. Dass bei diesem Ballett die sportliche Höchstleistung im Vordergrund steht, dafür sprechen die gestählten Körper der Herren wie beispielsweise beim Hofnarren Farkhat Sadvokasov, der auch noch Zeit für Mimik hat.

Insgesamt sind es am Ende des Abends wohl die traditionellen Kostüme, die das Publikum am meisten beeindrucken. Noch ehe das große Licht im Saal angeht, verlassen die Gäste die Halle nach sehr kurzem Applaus fluchtartig. Längst haben andere Kompagnien außerhalb Russlands aufgeholt, auch, was das klassische Repertoire angeht. Bei den Leistungen dieses Abends ist das auch kein Kunststück.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Highlight Concerts
(Besetzung variiert)