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Fakten zur Aufführung 

IL RITORNO
(Yaron Lifschitz)
24. September 2015
(Europa-Premiere)

Düsseldorf-Festival, Burgplatz


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Monteverdi am Trapez

Das 25. Düsseldorf-Festival ist nahezu vorüber, da wartet es aus seiner Sicht noch einmal mit einem Höhepunkt auf. Auf dem Programm im Zelt am Burgplatz steht Il Ritorno der australischen Künstlergruppe Circa. Das Stück ist eine Koproduktion von sage und schreibe sechs Festivals beziehungsweise Produktionsstätten, und die Produktion wird aus mindestens fünf Fördertöpfen bezahlt. Kein Wunder, dass die Vorschusslorbeeren für das auf dem diesjährigen Brisbane-Festival uraufgeführte und in Düsseldorf als Europa-Premiere gefeierte Werk umfangreich sind.

Zunächst einmal passt es gut in das Konzept des Düsseldorf-Festivals, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, insbesondere Genre-Grenzen zu sprengen. Das Circa-Ensemble tritt mit sechs Akrobaten, vier Sängern und zwei Musikern an, um Oper mit Akrobatik zu kombinieren. Yaron Lifschitz, Leiter des Ensembles und Regisseur, will so von Flucht, Vertreibung und Sehnsucht erzählen. Als Grundlage wählt er Claudio Monteverdis Il Ritorno d‘Ulisse in Patria und das Schicksal von Primo Levi, eines Chemikers, der das Konzentrationslager in Auschwitz überlebte und auf irrwitzigen Umwegen wieder in die Heimat Turin zurückkehrte.

Die Bühne ist leer und nach hinten von einer Betonmauer begrenzt. Rechts unterhalb der Bühne sind ein Flügel und ein Cembalo aufgebaut, hinter denen Cellist Tim Byrne Platz findet. Catherine Stirling bedient die Tasteninstrumente. Wenige Requisiten wie vier Taue und ein Trapez reichen, um Emotionen zu erzählen. Schließlich geht es Lifschitz nach eigener Aussage nicht um eine Geschichte, eine Handlung, die es zu erzählen gilt. Er strebt nach „poetisch-philosophischer Tiefe in der tradierten Sprache des Zirkus“. Und beginnt in einer Art Prolog mit einem jiddhischen Lied, das 1938 von Mordechai Gebirtig als Reaktion auf das Pogrom in der polnischen Stadt Przytyk komponierte. Es brent gehört neben der Partisanenhymne zu den am häufigsten gespielten Liedern bei Holocaust-Gedenkveranstaltungen. Und auch ohne diese Hintergründe zu kennen, wie wohl die meisten Zuschauer im Publikum, sieht man den Holocaust auf sich zukommen.

Während des weiteren musikalischen Geschehens tummeln sich Nathan Boyle, Jessica Connell, Nicole Faubert, Gerramy Marsden, Brittannie Portelli und Duncan West als Akrobaten auf der Bühne. Sie offenbaren das Dilemma der Aufführung, indem sie sich in Spitzenakrobatik auf dem Boden, am Trapez und am Seil üben. Schon bald sind die „Ah“ und „Oh“ aus dem Publikum zu hören, das sich bestenfalls in zweiter Linie für die Musik interessiert. Zwar werden die einzelnen Stationen Odysseus‘ während der englischen Moderation in Deutsch auf die schwarzverhangene Rückwand oberhalb der Mauer projiziert, aber wenn es um die Inhalte der Monteverdischen Musik geht, bleiben die des Italienischen nicht Mächtigen ratlos zurück – und interessieren sich umso mehr für die dargebotenen Kunststückchen. Die allerdings sind weniger an Poesie als an sportlichen Spitzenleistungen orientiert.

Für Opernbegeisterte lohnt die „Grenzüberschreitung“ kaum. Alicia Cush, Bethan Ellsmore, Matthew Hirst und Mattias Lower singen Oper elektronisch verstärkt. Zwar lässt ein zwischenzeitlicher Ausfall seines Mikrofons erahnen, dass der Erzähler sehr wohl auch ohne Technik ausgekommen wäre, aber das Vertrauen hat Lifschitz offenbar nicht. Und so ist die Veranstaltung nicht Fisch, nicht Fleisch, zeigt weniger die Notwendigkeit, Grenzen zu überschreiten als an das Sprichwort „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ zu glauben.

Einen näheren Zugang bekommen die Zuschauer nicht. Die Informationen im Internet beschränken sich auf Werbetexte und Besetzungslisten, ein Programmheft gibt es nicht. Trotzdem zeigt sich das Publikum nach 75 Minuten von den zirzensischen Spitzenleistungen beeindruckt – oder von dem, was es davon verstanden hat.

Michael S. Zerban

 







Fotos: Chris Herzfeld