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Fakten zur Aufführung 

PG DADA
(Moritz Eggert)
7. Juni 2015
(Deutsche Erstaufführung)

Tonhalle Düsseldorf


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Gegenwehr gegen die Gesinnungstäter

Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes – da war doch was? Richtig: Eine geschlossene Facebook-Gruppe, der sich ein paar Verwirrte anschlossen. Daraus resultierte eine öffentliche Versammlung in Dresden, die dank intensiver medialer Berichterstattung vorübergehend hochkochte und, unter anderem in Düsseldorf, massive Gegendemonstrationen bewirkte. „PEGIDA“ wird nicht einmal eine Randnotiz im Geschichtsbuch Deutschlands hinterlassen, obwohl das Phänomen zweierlei zeigte: Wie viel braunes Gedankengut und welche Ängste die Deutschen umtreiben, und auf der anderen Seite die Hilflosigkeit, wie man mit solchen Ausuferungen in einer friedlichen Gesellschaft umgeht. Die Gegendemonstrationen erwiesen sich als gute, spontane Sofortmaßnahmen, um die Bürger aus ihrer Ohnmacht gegenüber einer dumpfen Wut zu befreien, die von vielen Medien in grenzenloser Sensationsgier angestachelt wurde. Die Symptome sind bekämpft, aber was ist mit den Ursachen? Moritz Eggert ist einer von denen, die sich über den Tag hinaus mit der Randerscheinung PEGIDA und ihren zu Grunde liegenden Mechanismen beschäftigen. Eggert gilt als einer der bedeutendsten und vielseitigsten Komponisten der Gegenwart. Seine Kommunikationsform ist die Musik.

In der Reihe „Supernova – Neue und neueste Musik“ der Tonhalle Düsseldorf kommt jetzt PG Dada zur deutschen Erstaufführung, inmitten vier weiterer Werke der zeitgenössischen Musik. Die Besonderheit des 17-minütigen Werks: Es gibt nicht nur eine Noten-, sondern auch eine Bewegungspartitur. Außerdem wird dem Dirigenten Stimme verliehen. Daraus resultiert eine ganz besondere Form von Musiktheater, wie man sie auch im Konzertsaal nicht jeden Tag erlebt. Ob der verfrühte Auftritt der Mezzosopranistin Marta Wryk Teil des folgenden, parodistischen Geschehens ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aber es ist in jedem Fall ein passender Auftakt.

Das notabu.ensemble neue musik wurde 1983 gegründet, gilt nach Angaben der Tonhalle als „die Institution zeitgenössischer Musik in Düsseldorf“ und zeigt an diesem Abend vor allem eines: Spielfreude in doppelter Hinsicht. Während Dirigent und Ensemble-Gründer Mark-Andreas Schlingensiefen durchaus zackig sein eigenes Konzert dirigiert, was mit den vor ihm sitzenden respektive stehenden Instrumentalisten nichts zu tun hat, und zwischenzeitlich seine Musiker mit lauten Rufen anfeuert, wird den sechs Bläsern und dem Kontrabassisten die musikalische Aufführung durch zusätzliche Aufgaben erschwert, die sie allerdings mit viel Spaß bewältigen. Es ist naheliegend, dass Thomas Fischer am Bass eine kontrapunktische Funktion einnimmt. Sein „Desinteresse“ am Geschehen ist überwältigend. Flötist Stefan Oechsle tanzt schon mal mit exaltierten, ruckhaften Bewegungen aus der Reihe, während die Klarinettisten Holger Busboom und Lucas Cavelius sich in Ausfallschritten nach rechts und links bewegen. Werner Brandt am Fagott und Hornist Bert Bürgers üben sich geradezu in einer Choreografie des sich Erhebens und Setzens, während Posaunist Andreas Roth auch schon mal Schilder wie bei einer Demonstration hochhält. Wardy Hamburg am Altsaxofon und Georg Bongartz an der Oboe fügen sich in den Spaß ein, ehe die Musiker den Saal verlassen, während Schlingensiefen unbeirrt weiter dirigiert. Herrlich, wie man sich hier die Rechtsradikalen vorstellen kann, die versucht haben, PEGIDA zu vereinnahmen und letztlich wie die Trottel da standen, als sie versuchten, das Kommando zu übernehmen. Und auch Eggert hat ein gewaltfreies Mittel gegen „Führer“-Persönlichkeiten: Während auf der Bühne die immer ruckhafteren Bewegungen des Dirigenten die Stille nicht beenden können, erscheinen die Musiker auf den Rängen – und pusten Seifenblasen. Wer hier und an dieser Stelle nicht nach den Blumen in den Haaren der Musiker schaut, wie sie in der Flower-Power-Bewegung üblich waren, ist besser in Dresden aufgehoben. Vierhändig beenden Yukiko Fujieda und Fredrike Möller am Klavier das vom Komponisten gewünschte, dadaistische Theater.

Lässt scheinbar die Disziplin der Vorführenden nach, fühlt sich auch das Publikum nicht länger zur Zurückhaltung verpflichtet. Da wird dann gleich getuschelt und gehustet, was das Zeug hält. Eggert, der ständig auch nach neuen konzertanten Aufführungsformen sucht, dürfte nichts dagegen haben. Und letztlich haben die wenigen Besucher, die den Weg in die Tonhalle gefunden haben, einen Riesenspaß. Sie danken dem Ensemble wie dem Komponisten mit langanhaltendem Beifall. Das Thema PEGIDA und vor allem das, was dahinter steckt, ist sicher nicht mit dieser Erstaufführung beendet. Aber sie macht Mut und zeigt, dass es beherrschbar ist.

Michael S. Zerban





Fotos: Susanne Diesner