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Fakten zur Aufführung 

KREIDEKREIS
(Armin Petras, Lara Kugelmann)
28. März 2015
(Premiere)

Junges Schauspielhaus Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Comics für alle

Was im „Erwachsenentheater“ als zögerlicher Trend erkennbar ist, ist im jungen Theater längst Normalität. Die einzelnen Theaterformen wachsen zu neuen Produktionsformen zusammen. Ein schönes Beispiel gibt der Kreidekreis, der im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf Premiere hat. Eine uralte Geschichte wird da auf die Bühne gebracht. Armin Petras und Lara Kugelmann haben sie im Auftrag der Compania Paidéia, São Paulo, dem Grips-Theater Berlin und dem Jungen Schauspielhaus Düsseldorf neu aufgeschrieben. In Düsseldorf hat Krystyn Tuschoff das Stück inszeniert, an den beiden anderen Häusern gibt es jeweils eigene Inszenierungen. Petras und Kugelmann haben eine Rahmenhandlung um das eigentliche Gleichnis gesetzt. Der elfjährige Li liegt mit einer nicht näher benannten Krankheit seit langer Zeit im Krankenhaus und hat sich seine eigene Welt aus Comic-Heften geschaffen. Zu seinem Geburtstag hat er mit Pflege- und ärztlichem Personal sowie seiner Mutter ein Stück einstudiert. Es ist die Geschichte des Kreidekreises, die Tuschoff rasant auf die Bühne – oder besser: in die Arena – bringt. Im Hintergrund hat Uta Materne eine überdimensionale Leinwand aufgestellt, daneben ist Platz für eine Tribüne. Im großen Rund, das durch unterschiedlich hohe Podeste begrenzt wird, gibt es wenig symbolisierende Requisiten und viel Platz für Spielfreude. Die Kunst der Kostümbildnerin Materne besteht darin, die vielen Rollen, die die Schauspieler mehrfach besetzen, mit wenigen, dafür umso fantasievolleren Kleidungsstücken so zu markieren, dass sie sich von selbst erschließen. Das ist nicht so ungewöhnlich. Die Kunstfertigkeit, mit der Materne das gelingt, findet man allerdings seltener. Um die Figuren auch ohne nähere Erklärung zu charakterisieren, hat Materne wunderschöne Illustrationen im Comic-Look geschaffen, die jeweils zu den Szenen auf die Leinwand projiziert werden.

Tuschoff erweitert das eigentliche Schauspiel um Gesangs- und Tanzeinlagen sowie die Musik von Martin Bechler, die leider nur „vom Band“ kommt. Überwiegend rockig geht es zu, ohne in die sonst vielfach üblichen „sphärischen“ Klänge der Beliebigkeit abzurutschen. Der Regisseurin gelingt so ein brandmodernes Märchen, das die medialen Reize, die Pubertierende heute ganz selbstverständlich erwarten, einbaut, ohne die Faszination des Schauspiels zu schmälern. Wermutstropfen bleibt, dass die Schlüsselszene der mütterlichen Entscheidung, das Kind im Wettstreit nicht aus dem Kreidekreis zu ziehen, im übrigen Geschehen untergeht und dem „Wiedererwachen“ der Mutter, der Rückkehr in die Wirklichkeit im Krankenhaus erheblich mehr Bedeutung geschenkt wird. So bleibt zwar der moralische Zeigefinger zugunsten der Emotionalität in der Versenkung, aber auch der Clou der Geschichte wird verschenkt. Ob das hinsichtlich der großartigen Wirkung des Gesamtkunstwerks verzeihlich ist, bleibt zu diskutieren.

Völlig indiskutabel hingegen sind die Leistungen der Schauspieler. So muss Theater, egal, ob für jung oder alt, sein. Zwar nimmt man Jonathan Schimmer nun wirklich den elfjährigen Jungen nicht ab, aber das spielt auch so was von überhaupt keine Rolle. Ob 11, 16 oder 24 – wie Schimmer den kranken Jungen Li, Teehausbesitzer, Richter, Hebamme und Regisseur präsentiert, ist in jeder Hinsicht bemerkenswert. Seine Mutter, Haitang, wird von Julia Goldberg nicht nur gespielt, sondern auch gesungen und getanzt. Und sie zeigt, dass von jungen Schauspielern die verschiedenen Disziplinen nicht nur gefordert sind, sondern auch erfüllt werden können. Auf nahezu gleichem Niveau bewegt sich Julia Dillmann, die als Krankenschwester noch ein wenig „gespielt“ herüberkommt – was aber auch an den ersten Sekunden der Premierensituation liegen mag – als Yü, die erste Frau des Mandarins, kann sie sämtliche Fassetten ihres Könnens zeigen. Alexander Steindorf muss sich als Arzt, Haitangs Bruder und Arzt beweisen. Das ist nicht nur mit verschiedenen Charakterdarstellungen, sondern auch mit zahlreichen Kostümwechseln verbunden. Und Steindorf gelingt beides meisterhaft. Bernhard Schmidt-Hackenberg mimt den Zivi im Krankenhaus und andererseits Pao, der, im Abendzettel als Prinz angekündigt, im Stück als Kaiser auftritt. Beides absolviert er souverän. Und vervollständigt damit eine Aufführung, die spannend wie ein Film daher kommt, ohne sich anderen Medien anzubiedern.

Das Publikum im vollbesetzten Saal, das sich zu großen Teilen aus Erwachsenen zusammensetzt, die nicht als Begleitung ihrer Kinder erschienen sind, zeigt sich zu Recht vollkommen begeistert von der Melange aus Schauspiel, Musik, Gesang, Tanz und einer alten Geschichte, die den Jugendlichen auf hochmoderne Weise Werte vermittelt, die in unserer Gesellschaft allmählich unterzugehen drohen. Auch deshalb großer Beifall für einen in jeder Hinsicht überzeugenden Theaterabend.

Michael S. Zerban

 







Fotos: Sebastian Hoppe