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Fakten zur Aufführung 

DER FEURIGE ENGEL
(Sergej Prokofieff)
13. Juni 2015
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf


Points of Honor                      

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Musiktheater unter Starkstrom

Es ist natürlich auch Immo Karaman zu verdanken, dass die alles andere als glänzende Saison der Deutschen Oper am Rhein mit einem überragenden Schlussakzent enden kann. Dem Regisseur verdankt das Zwei-Städte-Institut immerhin drei grandiose Produktionen mit Schlüsselwerken von Benjamin Britten. Noch schwerer wiegt jedoch das musikalische Niveau, das mit Sergej Prokofieffs exzessivem Psycho-Schocker Der feurige Engel erreicht wird. Und da verdient Wen-Pin Chien ein Sonderlob. Ein zuverlässiger, hoch verdienter Kapellmeister, der viel zu selten selten mit einer großen Premiere betraut wird und diesmal in vollen Zügen zeigen konnte, was in ihm steckt. Dazu gehört die Fähigkeit, über die grellen, lauten Dauerattacken der Partitur nicht den Blick auf feinere Klänge und rhythmische Strukturen zu verlieren. Auch wenn das Werk zweieinhalb Stunden lang im Dauerforte und forschem Dauerlauf über die Bühne sprintet, verliert Men-Pin Chien nicht die Kontrolle und auch nicht die Nerven.

Acht Jahre mühte sich Prokofieff in seinen wilden Jahren zwischen 1919 und 1927 an dem seinerzeit skandalösen Horror-Stoff nach einem Roman von Walerij Brjussow ab. Uraufgeführt wurde es dennoch erst 1955, zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten. Seitdem taucht der Psycho-Schocker mit durchweg großem Erfolg immer wieder in den Spielplänen auf, zuletzt noch an der Komischen Oper Berlin. Voraussetzung ist allerdings die Möglichkeit, die nahezu unlösbaren vokalen Anforderungen stemmen zu können. Die weibliche Hauptrolle der Renata überfordert da sogar das großartige Ensemble der Deutschen Oper am Rhein, so dass mit Swetlana Sozdateleva ein Gast verpflichtet werden musste, der die Rolle, die die Kondition und Stahlkraft einer Isolde und Salome in Personalunion verlangt, bereits in Brüssel und Berlin überzeugend darstellen konnte. Und das gelingt ihr auch, sowohl gesanglich als auch darstellerisch, im Düsseldorfer Opernhaus. Die Ovationen des Premierenpublikums für sie sind ebenso verdient wie die für das bewährte und immer mit vollem Einsatz auftrumpfende Ensemblemitglied Boris Statsenko in der kaum weniger anspruchsvollen Rolle des etwas zwielichtigen Ritters Ruprecht. Makellos bis luxuriös besetzt der Rest mit ersten Künstlern des Hauses: Susan Maclean als Äbtissin, Sergej Khomov als zynisch überdrehter Doktor Agrippa und Sami Luttinen als phlegmatischer Doktor Faust mit seiner samtenen Bassschwärze seien stellvertretend genannt. Besser geht es kaum.

Und der Chor der Deutschen Oper am Rhein sowie die Düsseldorfer Sinfoniker vibrieren unter der ebenso umsichtigen wie kraftvollen Leitung von Chien so heftig, wie es das Stück verlangt. Ein Werk für Sensibelchen ist die überdrehte Oper ohnehin nicht, die quasi zweieinhalb Stunden lang fiebrige Hitzegrade jenseits der 40er-Marke ansteuert.

Die Handlung: Renata, ein Mädchen aus dem spätmittelalterlichen Deutschland, ist auf der Suche nach einem Engel, der ihr im feurigen Strahlenkranz erschienen ist. Sie glaubt ihn im Ritter Heinrich zu erkennen, den sie nach einer hysterischen Jagd in Köln aufstöbert. Doch der verflucht die liebesbesessene Rheinländerin und schickt ihr den Teufel auf den Leib, der sie auch im Kloster, in das Renata flieht, bedrängt. Hier animiert sie die Schwestern zu einer entfesselten Orgie. Nach einem fehlgeschlagenen Exorzismus wird sie vom Inquisitor auf den Scheiterhaufen geschickt. Retten kann da auch Ritter Ruprecht nichts mehr, der ihr in ihren schlimmen Stunden beisteht und sogar um ihre Hand anhält.

Dass Immo Karaman die Kernhandlung in eine Irrenanstalt verlegt, gehört heute zum Theateralltag, macht in diesem Fall aber Sinn. Ritter Ruprecht, der ihr in ihren Ängsten beisteht, nimmt die Rolle eines Therapeuten an, das vom Regisseur und Aida Leonor Guardia kreierte Bühnenbild wandelt sich schnell und raffiniert von den Gewölben einer altertümlichen Heilanstalt in eine düstere Kathedrale. Die hysterischen Visionen Renatas arbeiten Karaman und seine Darstellerin in vollen Zügen aus. Zum Teil mit drastischen Elektroschocks, zum Teil mit provokant klischeehaftem Bühnenzauber, wenn die Möbel zu zittern beginnen, die Wände einreißen und die Wandlampen explodieren. Der Exkurs mit dem vermeintlich logisch argumentierenden Doktor Agrippa als zynischem Frankenstein-Verschnitt und die nihilistische Einlage mit Mephisto und Doktor Faust inszeniert Karaman mit grellem Sarkasmus. Ein wenig harmlos gerät dagegen die Orgie der Nonnen, auch wenn man nicht immer so viel nackte Haut zeigen muss wie bereits vor 45 Jahren die Frankfurter Oper.

Gleichwohl: Zu erleben ist Musiktheater unter Starkstrom, glänzend realisiert, vom Publikum begeistert aufgenommen. Schön, dass die Produktion nach nur vier Folgeaufführungen zum Ende der Saison in der kommenden Spielzeit wiederaufgenommen wird.

Pedro Obiera





Fotos: Hans Jörg Michel