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Fakten zur Aufführung 

DEATH IN VENICE
(Benjamin Britten)
14. Juni 2014
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf


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Das ewige Sterben

Venedig an der Isar – so titelte vor fünf Jahren der Münchner Merkur, als Immo Karaman zum ersten Mal Death in Venice von Benjamin Britten im Gärtnerplatztheater in München inszenierte. Diese Regie-Arbeit hat Karaman jetzt für Düsseldorf zum Abschluss seines Britten-Zyklus adaptiert. Auf der Website der Rheinoper findet sich kein Hinweis darauf, und man muss schon sehr genau das Impressum des Programmheftes studieren, um dort einen Verweis auf die Erstaufführung in München zu finden. Seltsame Gepflogenheiten.

1973 kam diese Oper nach einer Novelle von Thomas Mann zur Uraufführung und wurde als „Schlüssel- und Alterswerk“ gefeiert. „Bilder innerer Gefangenheit und brennender Sehnsucht spiegeln sich in der labyrinthischen Atmosphäre Venedigs mythenmächtig wider“, schreibt die Rheinoper in ihrem Werbetext verheißungsvoll. Heraus kommt eine dreistündige, unendlich langatmige Aufführung, die musikalisch frei von Überraschungen bleibt und kritiklos Pädophilie feiert. Immerhin wirft es die Frage auf: Müssen wir uns, abseits kriminalpsychologischen Interesses, damit befassen, welche Gedanken den – potenziellen – Pädophilen, mithin den Täter, umtreiben? Müssen wir nicht, findet Karaman und versucht, der Vorlage zusätzliche Aspekte abzugewinnen und somit die Inszenierung zu rechtfertigen. So ganz überzeugt das nicht.

Der Regisseur zeigt zwar Venedig nicht, dafür aber ein Kaleidoskop an mythischen Andeutungen, (Alp-)Traumpassagen, Balletteinlagen und Statistenbewegungen. Um den Eindruck zu durchbrechen, dass es sich hier bestenfalls um eine Kammer- und Rezitativoper handelt, lässt Karaman eine Menge Personal aufmarschieren. Kaspar Zwimpfer entwickelt dazu eine geniale Bühne. Eine Kabine, die wahlweise in Kombination mit einem schwarzen Vorhang herabgelassen oder hochgezogen werden kann, steht über einem Bühnenaufzug. Dahinter die „große Szene“, die parallel zum Verfall des ohnehin verfallenden Schriftstellers und der in der Cholera versinkenden Stadt ständig an Substanz verliert. So schafft Zwimpfer zwei verschiedene Welten: Das private Umfeld des Gustav von Aschenbach und die Welt „da draußen“, die geprägt ist vom – dekadenten – Tourismusbetrieb in einem gehobenen Hotel. Das wirkt so morbide wie die Kurklinik im Zauberberg und ist deshalb so gelungen. Nicola Reichert kleidet dazu die Darsteller neben wunderbaren Fantasie-Kostümen in die passenden Kleider des Fin de Siècle. Für die nahezu perfekte Ausleuchtung sorgt Franz-Xaver Schaeffer. Fabian Posca ist für die Choreographie der Balletteinlagen zuständig – und prinzipiell ist das auch stimmig. Wäre da nicht die mangelhafte Qualität der Ausführung. Da wird der Spitzentanz zur Peinlichkeit. Und überrascht stellt man fest, dass hier nicht etwa Martin Schläpfer in der Ausbildung gepatzt hat, sondern Tänzerinnen und Tänzer von auswärts eingekauft wurden. Manchmal leistet man sich in Düsseldorf eben etwas mehr Luxus als anderswo – ohne dass es dadurch besser würde.

Wer sich an solchem Unsinn nicht stört, hat an diesem Abend in erster Linie Spaß an den stimmlichen Leistungen. Eine großartige Leistung erbringt Raymond Very, auch wenn er zum Ende sein Taschentuch ansingen muss. Zwar wirkt er in seinem zeitgenössischen Straßenanzug mit Brille eher wie ein Buchhalter und widerstrebt damit der vergeistigten Vorstellung des Schriftstellers à la Mann, macht das aber alles mit seiner Stimme wieder wett. Ebenfalls ohne Abstriche präsentiert sich Peter Savidge in verschiedensten Rollen. Ganz wunderbar und mit einer wirklich eigenen Stimme macht Countertenor Yosemeh Adjei auf sich aufmerksam. Von ihm möchte man, abseits des Mainstreams, mehr hören. Vor allem darstellerisch gefällt Francesco Pedone als Handpuppe. Die zahlreichen kleineren Rollen fügen sich tadellos in das Gesamtgeschehen ein.

Daneben gibt es einen begeisternden Chor der Deutschen Oper am Rhein in der Einstudierung von Christoph Kurig zu hören.

Lukas Beikircher ist mit der Musik wenig gefordert. Und so kann er die Düsseldorfer Symphoniker mit Eleganz und ohne großen Aufwand durch die Partitur führen, Sänger und Chor immer im Blick.

In der Pause haben sich die Reihen des gut besuchten Saals erheblich gelichtet. Da hilft auch die Dichte der Inszenierung nicht. Die Verbliebenen applaudieren allen Beteiligten sehr herzlich. Erst für Raymond Very gibt es auch „Bravo“-Rufe. Und nach zwei Durchläufen reicht es dann auch. Immo Karaman ist eine komplexe, stimmige Inszenierung gelungen, die die Oper Brittens rettet, allerdings ohne die Grundproblematik aufzulösen. Und da gibt es Pluspunkte für das Publikum, das sich für die Beweggründe eines Pädophilen und miserable Ballett-Leistungen nicht interessiert.

Michael S. Zerban





Fotos: Hans Jörg Michel